Sie liegen zurück, gleichen aus, gehen in Führung – und verlieren! Diese „Taktik“ durften wir bekennende Seleção-Fans am gestrigen Sonntag gleich zweimal miterleben. Am Nachmittag beim Viertelfinale der Frauen-Fussball-WM in Deutschland und faktisch im Anschluss beim Spiel um Platz 3 bei der U-17-Weltmeisterschaft in Mexiko. Zwei dramatische Spiele mit dramatischen Ausgang. Mit zwei Mannschaften in kanariengelben Trikots, die den Sieg auf dem Schuh haben, am Ende jedoch über die eigenen Füsse stolpern.
Was ist los mit Brasiliens Fussball-Wunder? Wo ist das Samba-Gekicke aus dem Takt geraten? Selbstverständlich kann man nicht immer gewinnen und selbstredend ist man nicht immer die beste Mannschaft auf dem Platz. Manchmal gehört auch ein bisschen Glück dazu, nach dem Abpfiff jubeln zu dürfen. Aber eben erst danach. Denn nicht nur mir kommt es so vor, als ob der brasilianische Fussballverband CBF die Losung ausgegeben hat: Führung = Sieg!
Bei einem 2:1 sehnte sich die Seleção Feminina in Dresden nach 120 Minuten gegen die USA dem Schlusspfiff entgegen, nachdem bereits nach 120 Sekunden die US-Girls (durch ein Eigentor von Daiane) in Führung gelegen hatten. Marta drehte das Spiel, schoss das 1:1 per (umstrittenen) Elfmeter, markierte den Führungstreffer mit einem Hauch Genialität. Dann der Ausgleich durch die Amerikanerinnen, während die Unparteiische schon Luft holt um abzupfeifen. Elfmeterschiessen! Und Brasilien löst sich das Ticket nach Hause.
Nicht anders bei Brasilien gegen Deutschland in Mexiko-City. Hier legen die DFB-Junioren im „kleinen Finale“ der WM 1:0 vor, was die südamerikanischen Youngsters mit 3 Toren binnen 11 Minuten beantworten. Und dann war Schluss. Doch auch bei einem Spiel um Platz 3 wird nicht nach 33 Minuten abgepfiffen. Deutschland ist zumindest dieser Meinung und trifft auch noch dreimal zum 3:4 Endstand. Und schnappt der Seleção Sub-17 die Bronzemedaille weg. Fast so bitter wie ein vorzeitiges One-Way-Ticket zurück zum Zuckerhut.
Doch diese beiden Beispiele, die so frisch sind, dass die Anzeigetafel noch warm ist, sind keine Einzelfälle. Denn das Prinzip der Niederlage auf der Zielgeraden trifft beileibe nicht nur auf die Frauen und Junioren zu. Zurückgelegen haben sie zwar nicht, die fünffachen Weltmeister im Viertelfinale der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika gegen die Niederlande. Sie sind tatsächlich in der 10. Minute früh in Führung gegangen und konnten danach ihren wirklich überirdischen Fussball eine Halbzeit lang zelebrieren. In der Pause dürfte dann der Verband allerdings die bereits angesprochene Losung nochmal in Erinnerung gerufen haben. Zumindest kann man das glauben, betrachtet man sich die zweite Halbzeit, nach der die Turnier-Favoriten mit einer 1:2 Schlappe von der Oranje nach Hause geschickt wurden.
Brasilien hat unglaublich viele Fussballtalente. Jungs und Mädchen, die mit dem Ball umzugehen wissen, die Tore schiessen und sich auch zu einer Mannschaft formieren können. 190 Millionen Einwohner, da ist es schwer, sich seinen Platz in der Nationalelf zu sichern. Nur die besten kommen dorthin und es ist ein harter Weg. Er ist dann aber noch nicht zu Ende. Denn dann muss man den steinigsten Pfad erklimmen. Bis zum Sieg. Mit der Disziplin, dann weiterzumachen, wenn man augenscheinlich nicht mehr weitermachen muss. Wenn man meint, die Katze – pardon, der Ball ist im Sack.
Denn wenn man sich bis zum Abpfiff quält, auch wenn es nicht notwendig erscheint, dann wird man am Ende jubeln dürfen. Ansonsten jubeln die anderen. Beweise gibt es wie beschrieben zu Genüge. Die Gegner, liebe Seleção, quälen sich nämlich nicht, weil sie glauben, dass Brasilien schon gewonnen hat. Sie quälen sich, weil sie wissen, dass sie gegen eine Mannschaft, die schon überlegt, wie man den Sieg feiern könnte, noch eine Chance hat.
Aus eigener Kraft können sie nicht mehr gewinnen, dies wissen sie genau. Aber man hat ihnen gesagt, dass Brasilien sich ein ums andere Mal selber schlägt, selbst wenn sie haushoch führen. Oder wer will nach dem Abschneiden Brasiliens bei den drei angesprochenen FIFA-Weltmeisterschaften hier noch widersprechen?
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