El Salvador: Verfassungskrise nach Gerüchten über Aufhebung des Amnestiegesetzes

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Datum: 13. Juli 2011
Uhrzeit: 08:06 Uhr
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► Ausdruck einer neu gewonnenen Unabhängigkeit

Das bloße Gerücht, El Salvadors Verfassungsgericht (CSJ) könnte das Amnestiegesetz von 1993 aufheben, reichte, um eine veritable Verfassungskrise auszulösen. Die Vorgänge der letzten Wochen zeigen aber auch, wie wenig vernarbt die Wunden des Bürgerkrieges der Jahre 1980-1992 noch immer sind.

Seit 2. Juni stehen die Zeichen zwischen den Richtern des Verfassungsgerichts und den Gesetzgebern auf Sturm. Am 2. Juni beschloss nämlich das Parlament das soggenannte Dekret 743, um so in Zukunft die Aufhebung kontroversieller Gesetze durch die Verfassungsrichter zu verhindern. Dekret 743 verfügt, dass alle Urteile des Verfassungsgerichts einstimmig gefällt werden müssen, was eine Paralysierung dieser Institution zur Folge hat. Das Amnestiegesetz wurde 1993 von der rechten Mehrheit des Parlaments verabschiedet, um die Verantwortlichen für die Menschenrechtsverletzungen während des bewaffneten Konflikts aus der Verantwortung zu entlassen. Das Gesetz wurde seither immer wieder von in- und ausländischen Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert, wohingegen die herrschenden Eliten des Landes schon eine Diskussion über eine mögliche Aufhebung des Gesetzes von sich wiesen.

Im letzten Jahr fällte das Verfassungsgericht einige unangenehme Urteile betreffend die diskrete Verschiebung von Budgetmitteln zum Präsidenten, die Zulassung unabhängiger Kandidaten zu Wahlen oder ein Urteil, dass die Persönlichkeitsrechte einzelner gegenüber die Eigentümern und Herausgebern von Medien stärkt. Im Frühjahr dieses Jahres verfügten drei der fünf Verfassungsrichter die Auflösung von zwei traditionellen Parteien, weil sie bei den Wahlen von 2004 nicht die erforderliche Prozenthürde erreicht hatten.

Für politische Beobachter wie Alfredo Mena Lagos sind solche Urteile Ausdruck einer neu gewonnenen Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts, das nicht länger am Gängelband der politischen Eliten hängt. Die derzeitigen Verfassungsrichter wurden nach langwierigen Verhandlungen 2009 vom Parlament ernannt und machten bald klar, dass sie sich keinesfalls als verlängerte Arme der wirtschaftlichen und politischen Elite des Landes sehen.

Für die Verabschiedung von Dekret 743 waren die Stimmen der rechtsgerichteten ehemaligen Regierungspartei ARENA entscheidend, die den Anweisungen von Parteichef Cristiani Folge leisteten. Cristiani hat – als ehemaliger Präsident sehr persönliche Gründe gegen eine Aufhebung des Amnestiegesetzes, da er als damaliger Oberkommandierender der Streitkräfte als mitverantwortlich für die Ermordung von sechs Jesuiten und zwei Frauen am 16. November 1989 gilt. Es gibt nämlich Berichte, wonach er an jenem Treffen teilgenommen hat, wo die Führung der Streitkräfte die Ermordung der Jesuiten plante.

Am 29. Mai erließ der spanische Untersuchungsrichter Eloy Velásquez Haftbefehle gegen 20 Mitglieder der Streitkräfte. Diese liegen jetzt bei Interpol und sollten eigentlich von der salvadorianischen Polizei vollzogen werden. Allerdings gibt es in San Salvador eine kontroverse über die Zuständigkeit des spanischen Gerichts. Die politische Rechte spricht von einer Einmischung Spaniens in interne Angelegenheiten und beruft sich außerdem auf das Amnestiegesetz.

Cristiani selbst äußerte Befürchtungen über eine Aufhebung des Amnestiegesetzes als eines der Motive für Dekret 743. Präsident Funes ließ nach seinem Amtsantritt wenig Zweifel daran, dass er nicht offen für eine Aufhebung des Amnestiegesetzes eintreten werde, weil das Wunden aus dem Bürgerkrieg wieder öffnen würde. Daher unterschrieb – sehr zur Enttäuschung des Linken und von Menschenrechtsorganisationen Dekret 743 innerhalb eines Tages.

Miguel Montenegro, der Vorsitzende des salvadorianischen Menschenrechtskommission verweist dagegen auf die Straflosigkeit und betont, dass auch internationale Gerichte die Aufhebung des Amnestiegesetzes fordern.

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