Dass die analphabetischen Völker ganz grosse Künstler hervorbingen, wisst Ihr ja, weil Ihr meine Geschichten lest. Ich bin immer wieder auf die wunderbaren Fresken gestossen, die sie überall auf die Wände malen, die man aber nur schwer und zufällig findet. Deshalb wird es kaum je ein Buch darüber geben, wie das Besucherinnen von mir geplant haben. Sicher wäre es eine einmalige Idee, aber die Werke zu finden, ist eine andere Sache. In der Zweimillionenstadt, in den Trümmern, und ohne Stadtplan. Ein Führer liegt schon gar nicht drin, bis der bereitgestellt wäre, wären die Fresken längst wieder mit anderen übermalt, es ist halt Wegwerfkunst.
Vielleicht erinnert ihr Euch, wie ich in früheren Kolumnen meiner Beeindruckung Ausdruck gab, wie die Menschen hier mit ihren Gefühlen umgehen. Sie an die erstbeste Mauer malen, quasi nach aussen stülpen, abladen. Alles, was ihnen Eindruck macht. Übrigens in Gesang und Musik, Bildhauerei aus Pappmaché und Beschnitzung von Bäumen dasselbe. Bilder, in denen sich schicksalhafte Augenblicke widerspiegeln. Sie haben nach den Katastrophen Helikopter gemalt, Fluzeugträger, das Spitalschiff der Amerikaner, und in der Vorzeit Militärs und Politiker. Und neustens habe ich Bilder zur Cholera entdeckt, die in jedem Haus grassiert. Die Seuche ein Geschenk der Fremden, der Blauhelme aus Nepal, die Fresken eine Wallung der Strassenkünstler, man sagt dem „naiv“.
In einer Kolumne habe ich beschrieben, wie wir in Jacmel einer Künstlertruppe begegneten, Clowns, Schauspieler, Komiker, Sänger, Zirkusathleten und Märchenerzähler. Amerikaner, Kanadier und Franzosen, die etwas Kreolisch gelernt haben, von Schule zu Schule pilgern und Vorstellungen geben, um die Kinder etwas zum Schmunzeln zu bringen. Wie ich das mit meinen Büchern versuche, wobei ich mich auf die Deutschsprechenden beschränken muss, denn bekanntlich bin ich kein Sprachgenie. Mein Motto „Schmunzeln bringt Leben, Weinen den Tod“ kann ich nur auf die Gleichsprachigen münzen.
Kürzlich war 1. August, Nationalfeiertag für die Schweizer. Da ist man auf der Botschaft eingeladen, zu einer kleinen Feier. Um nicht ganz zu vergessen, woher man wurzelt. Man lernt da jedesmal wieder interessante Landsleute kennen, größenteils Menschen, die sich zu Wohltätigkeits-Einsätzen zur Verfügung stellen, und vielleicht drei Monate hier weilen. Das reicht natürlich nicht, um die versteckten Trümmerschätze auch nur ansatzweise kennen zu lernen.
So lernte ich eine Schweizerin kennen, von Beruf Zeichenlehrerin und psychologisch mindestens gut vorbereitet. Die Dame hatte Vorstellungen von der haïtianischen Kunst, wie sie in Europa spriessen. Es sind nicht die Bilder, die zu hunderten an den Strassenrändern stehen und auf Käufer und Touristen warten. Es ist nicht die Malkunst fürs Zimmer, fürs Museum, zum Erwerb. Oder die Malkunst der wohlbetuchten Künstler, die im Museum of Haïtian Art und in andern Galerien Ameikas ausstellen.
Eine andere Kunst sind die Gefühle, die die „Maler des heiligen Herzens“ an die Mauern malen, die Erzählungen, Riten, Kulte, Verzauberungen, Verwunschungen, Mystifizierungen, die in Haïti so viel Popularität geniessen und schon bei den Indianern und den Magdalenien-Menschen in den Pyrenäen eine übermässige Rolle spielten. Und vergessen machen, dass auch die moderne Schminkerei in der historischen Kriegs- und Körperbemalung ihre Vorgänger hat. Auch mit Gefühlen zu tun hat. Bei ihnen eher gefragt als das Hirn ist das Herz.
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