Ein Schiff kommt frisch aus der Taufe und besucht uns in Haiti. Es ist kein gewöhnliches Schiff, es ist das Schiff der Superlative, das größte und revolutionärste Kreuzfahrtschiff der Welt. Viel Prominenz ist auf dem Ozeanriesen der Superlative, erwartet ihn auch an Land, und jedermann freut sich, sollte sich freuen. Das Ding hat immerhin 1,4 Milliarden US$ gekostet und ist damit das größte und teuerste jemals gebaute Kreuzfahrtschiff der Welt. Doch mit Verlaub, ich habe gemischte Gefühle. Die reichste Oase im ärmsten Land? „Oasis of the Seas“ bedeutet auf Deutsch „Oase der Meere“. So nennt sich die neuste Attraktion der Kreuzschiffahrt.
Der Name ist pervers, ich weiß. Denn Oasen können zwar paradiesisch sein, aber nur für Touristen. Die sind ohnehin eher kurzsichtig. Sie bemerken die hageren Oasenbauern nicht, die die karge Scholle zerhacken, Erbsen und Maniok pflanzen, zum Überleben. Auf der Oase der Meere arbeiten zwar auch „Bauern“; die 2165 Offiziere und Hostessen, Matrosen und Schrubberinnen in ihren schmucken goldbetressten Uniformen dürften aber von den erlauchten Gästen ein Vielfaches an Trinkgeldern herausholen als die Fellachen in den echten Oasen gewinnen.
Der Koloss ist 225’000-Bruttoregistertonnen „schwer“ und verdrängt 100’000 Tonnen Wasser. Die Rumpflänge beträgt 361 m, die Breite 47 m. Er hat 16 Decks und noch mehr Stockwerke, die überragen die Wasserlinie bis zu 65 Meter, dazu kommen noch 9 m Service-Etagen unter Wasser. Die Motoren leisten soviel wie 130’500 Pferde, die Reisegeschwindigkeit beträgt 22,6 Knoten entsprechend ca. 42 km/h. Damit betrug die Zeit für die Atlantiküberquerung zwei Wochen.
Die „Oasis of the Seas“ kann bis zu 6’300 Passagiere aufnehmen und verfügt über 2’700 Hotelzimmer. Um profitieren zu können, müssen die aber zuerst Neudeutsch lernen, denn alles ist in englischem Fachchinesisch angeschrieben: es gibt Lifestyle-Areale, einen Central Park, einen Boardwalk, Al-Fresco Seating, My-Time-Dining, Eat-ertainment, ein Aqua Theater, eine Royal Promenade, Pool- und Sports Zonen, Vitality at Sea Spa und Fitness Centers, einen Entertainment Place, eine Youth Zone & more.
Das Rekordschiff gehört, wie die haitianische Region Labadee Royal Caribbean Cruises Ltd., die mit 20 ähnlichen Dampfern führende weltweite Cruiseline. Es sind alles Schlemmerschiffe, und die einschlägigen Passagiere buchen solche Events auch eher wegen des Schlemmerns als wegen des Reisens, ja es soll vorkommen, dass die nicht einmal wissen wo sie sind. Demzufolge lassen sich die Ausgeschlemmerten ihre Entfettungskuren wiederum so viel kosten wie einst die Kreuzfahrt, so bleibt das Geld im Umlauf. Auch „Oasis of the Sea“ offeriert für den momentanen Haiti-Trip ff. „24 sensationelle, neuartige Schlemmererlebnisse“ und ebensoviele exklusive Restaurants. Während vielleicht an Land Kinder verhungern…
Heute behauptet Royal Caribbean Cruises Ltd. in ihren Drucksachen, Labadee sei eine „Privatinsel von Royal Caribbean Cruises Ltd., die die Gäste mit einer neuen, erweiterten Infrastruktur empfange. Neben einem neuen Pier und neugestalteten Plätzen warte vor allem ein noch abwechslungsreicheres Ausflugs- und Aktivitätenprogramm auf die Urlauber, beispielsweise mit dem neuen Columbus Familienstrand.“
Als ich in den Neunzigern, zur Zeit des Putschregimes, dank Botschafter- und Fernsehbegleitung Labadee besuchen konnte, ankerten zweimal pro Woche bereits riesige Kreuzfahrtsschiffe der Royal Caribbean in der zauberhaften Bucht, jedesmal mit 4000 Passagieren und einer Landegebühr von 10 US$/Kopf und Tag. Die Touristen landeten aber gar nicht eigentlich, denn es gab in Labadee kein Hotel, und zum Schlafen wurden die Leute aufs Schiff zurückgeführt. Auch war Labadee damals wie heute keine Insel, sondern eine Bucht auf der großen Insel von heute. Den Passagieren wurde damals vorgelogen, sie seien auf einer kleinen amerikanischen Insel, denn ins Haiti von damals wäre niemand gekommen.
Labadee war jahrzehntelang abgeschottet, ein Royal Caribbean Cruises gehörender Landeplatz für ihre Schiffe, vom Innen-Inselland hermetisch abgetrennt durch eine doppelte „chinesische“ Mauer, die ein- und auswärts durch schwere Tore abgetrennt war, die sich für normale Touristen nie öffneten.
Nochmals Jahre vorher, ich arbeitete noch im Geschäft in Zürich, hatte Haiti noch einen besseren Ruf. Auch damals wurde den Passagieren die Insellüge aufgetischt, aber damals war es eine „kleine Insel in Haiti“. So gab es Arbeitskollegen, die tatsächlich schon vor mir auf der „Insel“ waren, „diesseits der Mauer“, wovon sie natürlich nichts wussten und ein völlig falsches Bild über „Haiti“ mitbekamen.
Anlässlich des Besuches der „Oasis of the Seas“ in Haiti wird latina-press exklusiv berichten