Landschaften, Länder, man kann in sie verliebt sein. Ab 16 Jahren in unterirdische, wobei zweifellos eine Rolle spielte, dass ich sie entdeckt oder mindestens mitentdeckt hatte, weil sie vorher noch niemand gesehen hatte. Nach 20 wurde ich Fan des Engadins, nicht nur für Tierfilme – ein paar Jahre absorbierte ich hier alles, was Film bedeutete. Und sicher spielte es auch eine Rolle, dass Röntgen, Nietzsche, Segantini und andere Grössen das Engadin als schönsten Fleck der Erde bezeichneten. Später lernte ich solche Flecken auch in afrikanischen Landen und anderswo kennen, und lernte, dass die „schönsten Flecken Erde“ vielerorts sein können. Abhängig von Faktoren wie Begleiterlebnisse, Ambiance, Gesellschaftlich-Soziales Erleben und – wohl am wichtigsten für alles – stimmiges Wetter. Bei entsprechendem Wetter kann der schönste Fleck Erde wohl überall sein. Und jetzt zu Haïti.
Alle die auf dem „Toussaint Louverture International Airport“ in Port-au-Prince, der Prinzenstadt angekommen sind und müde die steile Flugzeugtreppe hinabtorkeln, werden von zwei Eindrücken überrumpelt: zuerst von der erschlagenden Hitze und dann, gleich neben dem Flughafeneingang, vom Willkommensgesang einiger Musikanten, die mit Begleitung von Gitarren und Handtrommeln ihr rührendes „Haïti-Chérie“ (Geliebtes Haïti) vortragen. Ohne eine Hohlhand oder einen umgestülpten Hut hinzuhalten. Sie sind offensichtlich verliebt in ihr zauberhaft-schreckliches Heimatland, ihr paradiesisches Trümmerland, in dem die Ärmsten der westlichen Welt wie Rosen und Orchideen aus den Scherben blühen.
Ein untrügliches Merkmal von Verliebtheit ist die vorübergehende Blindheit gegenüber Mängeln des umschwärmten Objekts, beziehungsweise der angebeteten Person, die zur Fehleinschätzung des Objektes der Zuneigung führen kann. Bei Wesen können Fehler des anderen übersehen oder sogar als Anziehung erlebt werden. Zum Beispiel wenn ich verliebt in Haïti bin. Haïti ist aber ein Objekt, und bei solchen bleibt auch die bei Menschen erwartete Gegenseitigkeit aus.
Ich muss zugeben, auch ich bin verliebt in das Rosen- und Trümmerland, wie die singenden Musikanten auf dem Toussaint Louverture International Airport. Obgleich ich weiss, dass sich Verliebtheit in Dinge nicht schickt. Man riskiert, als Objetomane verschrien zu werden, und noch Schlimmeres. Verliebtheit darf ja nach unserer Regelwelt nicht einseitig, ohne Erwiderung sein, und muss sich aus diesem Grunde auf ein übersteigertes Liebesgefühl zwischen zwei ungleichartigen, aber gerne gleichaltrigen Partnern beschränken, mit dem Ziel, eine möglichst potente und gesunde Nachkommenschaft zu erzeugen. Alles andere ist abartig und pervers; daran hat auch die Übervölkerung unseres explodierenden Planeten nichts geändert, unsere Regeln haben eben Tradition, und damit den Vorrang. Sie muss sich ziemen, die heilige Gratwanderung über der Abnormität oder gar Illegalität. Verliebt, verzückt, verrückt – alles so nah beisammen und doch so fern. Zeitlich, örtlich und anderswie.
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