Haiti: Perlenkette der Bergseen

Bergseen-833

Datum: 29. Januar 2012
Uhrzeit: 11:45 Uhr
Leserecho: 2 Kommentare
Autor: Otto Hegnauer
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

Auf der andern, westlichen Talseite der Tiburon-Halbinsel, gibt es in ein paar hundert Metern Höhe eine prächtige Seenplatte, die dem Kalkgebirge vorgelagert ist. Ich habe ja meine Schweizer Wanderschuhe mitgenommen, und die haben Fibramsohlen. Die Barfüsser haben natürlich so was noch nie gesehen, und der Lacherfolg ist mir gewiss. Zahlreiche Flüsse und Bergbäche sind zu überqueren, was nicht immer ganz leicht ist. Was ich an den Haïtianern immer bewundern muss, ist die Lederhaut, die sie an den Füssen haben müssen. Denn die treten auch barfuss überall hin. Normalerweise muss man hindurchwaten, mit oder ohne Schuhwerk, der gleiche schwierige Entscheid wie jeweils in der Höhlenforschung, als ich NOCH jünger war. Da das vorbei ist, wurde ich auch oft hindurchgetragen, auf Personen- oder Pferderücken, sogar Melissa hat sich als Trägerin bewährt. Ich bin vielleicht nicht mehr allzu schwer, eher schwierig.

Ein besonderer Luxus ist eine Brücke, aus zwei Stämmen oder auch nur einem einzigen Baumstamm. Diese Gangart ist ebenso schlüpfrig wie kitzlig, und ein paar Meter weiter geht es in eine tiefe Schlucht. Auch die Hoftiere scheinen die Furten weiter oben vorzuziehen und halten sich fern. Bei Hochwasser werden wohl öfters die ganzen Brücken davongetragen und poltern Hangab.

Landschaft und Vegetation hingegen sind wunderprächtig, allein ihretwegen hat sich die Wanderung hieher mehr als gelohnt. Auch wenn von den ursprünglichen Urwäldern mit ihren Edelhölzern und Baumgiganten nichts mehr zu sehen ist, auch die Sekundärvegetation ist ein Erlebnis wert. Meine Pflanzenbücher sind natürlich auch restlos im Schutt von Gresye verschwunden, so dass ES eigentlich keine Rolle mehr spielt, dass ich über mehr deutsche als französische Literatur verfüge, aber Kreolisch ist ja ohnehin ganz anders. Wieder einmal muss ich meinen alten Spruch wiederholen, dass man ja nicht immer alles kennen und erfragen soll: Das Schicksal hat nachgeholfen und verfügt, jetzt müssen wir einfach sehen und staunen.

Die Pflanzenwelt ähnelt ein bisschen der afrikanischen Höhenvegetation. Die stacheligen harten Dinger sind eher an die Trockenwelt angepasst und versuchen, die Feuchtigkeit zu halten und damit zu überleben. Die zartblättrigen Arten sind auch vom Wesen her zarter und verlieren ihr Grün leicht, oder sogar das ganze Blätterkleid.

Unübersehbar wie Lichtungen sind die kleinen Meilerplätze, Rodungsinseln, traurige Zeugnisse vergangener Köhlerei. Die zwar abgenommen, aber immer noch Bestand hat. Sie sind gerade so gross wie ein einstiger Kohlenmeiler, ein mit Erde, Gras und Moos luftdicht bedeckter Holz-Haufen, der von einem Köhler in Brand gesetzt wird, um Holzkohle zu erzeugen. Holzkohle entsteht, wenn trockenes Holz unter Luftabschluss auf 275 °C erhitzt wird die sogenannte Pyrolyse. Die Temperatur steigt dabei „von selbst“ auf etwa 400 °C an. Die leichtflüchtigen Bestandteile des Holzes verbrennen, zurück bleiben etwa 35 % Holzkohle und anderes. Sie schlägt beim späteren Verbrennen keine Flammen und brennt mit einer höheren Temperatur als Holz.

Durch das praktisch von jedermann praktizierte Kochen mit Holzkohle wurden die Höhen vollständig entwaldet und der Erosion preisgegeben. Die Erdkrume wird abgetragen, der Boden unfruchtbar, die Landschaft verwüstet und lebensbedrohende Katastrophen grassieren ungebremst. Mittels Förderung der Sekundärvegetation und andern Massnahmen wird versucht, der Entwaldung entgegen zu treten.

In einer meiner einstigen Bibliotheken hatte ich sogar ein wenig Literatur über die Geologie Haïtis, solche gibt es fast nicht. Und seit dem berüchtigten 12. natürlich überhaupt nicht mehr. So muss ich aus meinem alten Hirn ausgraben, was da noch möglich ist, etwa warum den Bergen so oft Plateausäume vorgelagert sind wie hier, und warum diese – auch so oft – Quellen, Wasserfälle und Seen enthalten. Dasselbe vielerorts, auch in der Schweiz. Also der Plateausaum scheint eine härtere Schicht anzuzeigen, die der Erosion erfolgreicher Widerstand geleistet hatte und weniger abgetragen wurde. So bildete er ein Plateau, eine Schulterterrasse.

Weil diese Schicht wasserundurchlässig war und so einen Grund- oder Karstwasserträger bildete, musste am Ende der wasserführenden, zum Beispiel poröseren Schicht alles Wasser austreten. In den Mulden der Terrasse bildeten sich Seen, am Ende der weicheren Schicht Abstürze mit Wasserfällen, so einfach ist das. Die Gegend heisst denn auch „Saut du Baril“, was etwa „Fässchenfall“ bedeutet. Ein Saut ist ein Absprung, für Wasserfall, da stürzte wohl einmal ein Clairinfässchen zur Tiefe, schade für den Zuckerschnaps. Und weil wir uns im Bereich der tropischen Bergregenwälder befinden, spriesst hier natürlich eine unvorstellbar üppige Vegetation.

Hier ist sozusagen das Wasserschloss der Gegend, und hier ist Wasserknappheit unbekannt. Manchmal gibt es so viel Überfluss davon, dass die Gegend unbegehbar wird. Die Einheimischen bewegen sich fast nur auf Reittieren vorwärts, und Bewohner gibt es nicht mehr allzu viele hier oben. Wer hieher kommt, frönt oft dem Baden, oder kommt weil nach Vaudou-Glauben die Gewässer hier oben heilig sind. Die Wasserfälle sind auch das Ziel von Schulreisen oder Wandergruppen. Die Gegend ist sozusagen eine beliebte Destination des Lokaltourismus.

Die Menschen sind ausnehmend freundlich, angebettelt wurde ich nie. Übernachtet hatten wir zweimal auf der selben Talseite, weil da, bereits hoch oben, die Mutter Mystals ein Häuschen besitzt. Genau im selben Stil wie auf der andern Talseite schon geschildert. Ich selber habe die Tour ohne Reittier fertiggebracht, wie gesagt, in den Wanderschuhen. Ich muss allerdings bemerken, dass ich anschliessend einen Heiden-Krampf im einen Bein bekam, dass ich bis am nächsten Tag nicht mehr aufstehen konnte … Ein Zeichen, dass ich meine Zeit zu viel am Computer und zu wenig in den Wanderschuhen verbringe.

In der nächsten Folge werde ich von den Menschen da oben berichten, was die arbeiten- und warum.

Und bitte, vergesst vor lauter Lektüre nicht, für die Schule zu spenden. Jeder Franken kommt der Schule für arme Kinder zugut. Dafür bürgen Prof. Dr. Angela Knauer, Dirk Knauer, Melissa Charles und Otto Hegnauer. Danke!

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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  1. 1
    Reinhard Schaller

    Leider fehlen genauer Ortsangaben. Auch für andere währe es interessant, die Gegend zu besuchen

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