Die Spannung steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Denn heute erwarten sie ihre ersten Bücher, wohl auch die ersten Geschenke ihres Lebens, die ehemaligen Strassenkinder. Die Schule unter dem Mangobaum, „L’Ecole sur les Montagnes Noires“ (ESMONO) steht eben am Eintritt in ihren 6. Monat, und sie hat noch keine Gourde, keinen Rappen oder Cent gekostet. Die Lehrerinnen und alle andern arbeiten gratis, alles ist unentgeltlich, auch die Möbel, das Schulhaus und die Arbeit der „Abwarte“ und Wasserträger. Diese Bücher und diverse amtliche „Kontrollen“ sind das Erste, was wir bezahlen mussten – aus den Spenden von Firmen, die Links in der Internet-Seite von Otto Hegnauer platzierten. Sie waren auch gratis, aber Hegnauer bat sie als Gegenleistung um eine Spende. Leser, die auch eine Firma haben, bitten wir ebenfalls um dieses freiwillige „Gegengeschäft“. Ich schreibe auch meine Bücher zugunsten der Schule und Erdbebenopfer.
Das ist ein grosser Festtag, und dazu haben wir natürlich auch die Eltern eingeladen. Schade nur, dass die in die kleinen Zimmer nicht rein können, nicht einmal draussen gibt es genug Stehplätze mit Sicht. Denn fast alle Eltern sind gekommen, draussen steht noch eine ganze Menge, und sie wechseln den Standplatz, damit alle einmal reingucken können.
Auf der Seite Spenden sieht man, wer schon etwas gesponsert hat, es sind nicht viele, und zur Zeit noch keine Hilfswerke, Grosse und Offizielle. Wir bitten die, nun auch auf den anfahrenden Zug aufzuspringen – er ist immerhin schon den 6. Monat unterwegs. Niemand kann sagen, dass wir nicht sparsam umgehen mit den Ressourcen. Wir haben noch etliche „bankgelagert“, sind doch auf die Dauer auch bescheidene Zahlungen, Lehrerlöhne, Schulkleider und ein neues und grösseres Schulhaus fällig. Denn nochmals für etwa 50 Kinder haben wir noch keine Lösung. Und in 18 Monaten läuft der Gratisvertrag für das Schulhaus ab.
Das freudige Singen der Kleinen wird von kräftigem Klatschen, rhythmischem Stampfen oder phantasievollem Gebärdenspiel begleitet, fast könnte man von einem Schultheater sprechen. Auf jeden Fall zeigt es eine ungeheure Energie und Motivation, die es zu erhalten und zu veredeln gilt. Dass dies bei so vielen Zaungästen oder besser Türguckern aus der Familie noch gesteigert wird, versteht sich von selbst.
Als zwei der drei Lehrerinnen unter der Türöffnung gar mit grossen Paketen auftauchen, mit denen sie fast stecken bleiben, ist Gesang und Possenspiel natürlich dahin. Alle Augen heften sich auf die Pakete, und während des Auspackens würden die Kinder ihre Plätze am liebsten allein lassen und sich um die Inhalte raufen. Die Motivation siedet fast über, aber Disziplin ist gefragt. Die Kleinen müssen an den Plätzen bleiben und die Bücher noch geschlossen lassen. Sie werden noch sehen, was drin steht, und was nicht drin steht, und das Leben dennoch bringt.
Die Kinder sind stolz und motiviert, schon wegen der ersten Bücher. Auch wenn sie noch keine Uniformen tragen, wie die Kinder in den andern Schulen des Landes. Schuluniformen sind in den meisten Ländern üblich. Sie sind preiswert, während sich die Eltern „bessere“ Kleidung nicht leisten können. Alle Schüler einer Schule tragen eine einheitliche Kleidung. Dadurch wird der Teamgeist gestärkt, das Bestreben, die Mitschüler durch Kleidung zu übertrumpfen, wird unterbunden, der Ausdruck charakterlicher Individualität, die sich nicht auf Marken beschränkt. wird gefördert und die finanzielle Situation ist nicht gleich ablesbar. Die Eltern schätzen, dass ihre Kinder für den Schulbesuch eine Uniform tragen. Wir müssen uns auch Gedanken zu diesem Thema machen. Das wird noch eine Stange Geld kosten.
Bei uns drüben haben alle einmal als Leseknirpse begonnen. Oder mindestens als Leseratten Wie ich mich dann VON DER LESERATTE ZUM ABENTEUERDRACHEN entwickeln durfte, das habe ich in dem gleichnamigen Buch beschrieben. Bei andern verlief es etwas anders, aber immer war das Lesen zuerst. Das steht am Anfang von allem.
Leider gibt es auch Menschen, die das nicht gern sehen. Soziale Gruppen, die nicht teilen wollen, nicht einmal Kenntnisse und Geheimnisse. Zum Beispiel filmte ich in Sardinien, da gab es „Menschen“, die den Lagunenfischern das Beutemachen nur mit Knochenangeln oder solchen aus Christusdorn gestatteten, den Fischern nur die Benützung von Booten aus Binsengeflecht erlaubten, die infolge Fäulnis kaum ein Jahr hielten, die Landung mit Fischbeute ausser an vorgeschriebenen Stellen und angeordneten Zeiten verboten, denn nur dort waren Aufseher postiert. Und denen war ein Grossteil der Beute abzuliefern, zuhanden der Grossgrundbesitzer. Die wiederum in Rom in der Regierung sassen und eine Veränderung der Gesetze verhinderten. Danach gehörten ihnen Teile des Meeres, Lagunengebiete und Küstenstreifen. Der Zutritt in die Lagunengebiete für Fremde war untersagt, Fotografieren ohnehin. Und die Bevölkerung wurde von Schulen und Bildungseinrichtungen ferngehalten. Denn nur Arme machten reich.
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