Pressekonferenz bei Wahlsieger Hugo Chávez: ein Minutenprotokoll

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Datum: 09. Oktober 2012
Uhrzeit: 17:43 Uhr
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Autor: Dietmar Lang
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► Snacks und Kaffee verkürzen schier unendliche Wartezeit im Präsidentenpalast

Es war gerade einmal neun Uhr Morgens, als ich das erste Hindernis zu bewältigen hatte. Nur rund 12 Stunden zuvor war überraschend die Mail hereingeschneit, in der Venezuelas Staatspräsident Hugo Chávez zur internationalen Pressekonferenz für 12 Uhr mittags im Regierungspalast Miraflores eingeladen hatte. Den Journalisten und Redaktionen blieben offiziell stolze 75 Minuten Reaktionszeit, um sich für den Event einzutragen. Ich jedoch hatte die Mail erst gegen Mitternacht gelesen und trotz Fristablauf meine Daten übermittelt. Ob ich auf der obligatorischen Liste stand, war also alles andere als sicher.

In der heissen Morgensonne stand ich also vor dem ersten Absperrgitter, und ein junger Mann in Zivil liess mich nicht passieren. Von einer Pressekonferenz wüsste er nichts, ich sollte es mal hundert Meter weiter an einem roten Tor versuchen. Dort schickte man mich ebenfalls wieder weg, natürlich zu einer anderen Stelle. Auch dort hatte niemand etwas davon gehört, dass sich in Kürze Dutzende Kamerateams und über 100 Journalisten aus aller Welt einfinden würden. Erst als ich einem Soldaten der Ehrengarde die Mail auf dem Handy präsentierte, holte er Erkundigungen ein.

Welch‘ Wunder, gegen halb zehn stand ich dann tatsächlich – allerdings auch kräftig durchschwitzt – im ersten Sicherheitsbereich, doch noch niemand Verantwortliches war bereits eingetroffen. Das sollte weitere 30 Minuten dauern. Um zehn Uhr dann ging es ganz langsam los mit den Akkreditierungen, und obwohl ich einer der ersten in der inzwischen deutlich angewachsenen Schlange war, hiess es weiter Geduld bewahren. Als ich endlich an der Reihe war, hatte ich mir schon gut ein Dutzend Ausreden einfallen lassen, sollte ich nicht auf der Liste zu finden sein.

Doch wie ich insgeheim gehofft hatte, hatten die Organisatoren die Liste vermutlich erst am Morgen zusammengestellt und so prangte in einer dicken Zeile mein Name zusammen mit dem Medium, der Funktion und Passnummer. Der mir ausgehändigte Ausweis war schnell angeknipst und die Sicherheitsschleuse mit dem obligatorischen Röntgengerät für den Rucksack problemlos durchlaufen. Allerdings musste ich meinen Ohrring ausziehen, soviel Toleranz scheint es im doch so demokratischen Venezuela dann doch nicht zu geben. Um eine Sicherheitsmassnahme hat es sich mitnichten gehandelt, denn die Frauen durften ihren teilweise extrem auffälligen Schmuck an ihren Hörorganen belassen.

Aber ich beugte mich unter leisem Protest den Anordnungen der Palastwache und nur fünf Minuten später wurde ich gemeinsam mit einer Gruppe anderer Journalisten im Pulk in eine Kantine gebracht. Dort durften wir uns unter den wachsamen Blicken zahlreicher Sicherheitskräfte und dem auf eine Wand gemalten „El Comandante“ eine weitere Stunde Wartezeit mit Sandwiches, Säften und Kaffee verkürzen.

Die dritte Station in unserer Reise durch den Miraflores-Palast war der Vorraum zum Presseraum. Auch hier gab es kleine Snacks, Kaffee und Orangensaft. Nun wurden alle Presseleute in Kamerateams, Fotografen und Schreiberlinge aufgeteilt. Abermals galt es eine Sicherheitsschleuse zu überwinden, nur wurde sogar von Hand das mitgebrachte Gepäck inspiziert. Dabei ist es wohl unnötig zu erwähnen, dass abermals ewige Sekunden und Minuten verstrichen. Ein Blick auf meine Uhr gab mir Gewissheit. Es war inzwischen kurz nach Zwölf, schon drei Stunden war ich auf dem Weg vom Eingangsbereich in den Presseraum.

Doch wer nun gedacht hat, dass die Show gleich starten würde, sah sich getäuscht. Bis kurz nach 13 Uhr mussten wir bei abermals freundlich gereichten Häppchen ausharren. Immer wieder gab es „Fehlalarme“, wo die Kameraleute aufsprangen, die Diktiergeräte hastig angeschaltet und die Notizblöcke gezückt wurden. Und immer wieder kehrten alle kurz danach in ihre vorherigen Positionen zurück, klimperten auf dem Handy herum oder schnappten sich noch einen Kaffee.

Und plötzlich war er aus dem nichts irgendwann gegen halb Zwei erscheinen. „Hallo, wie gehts euch? Habt ihr ein Sandwich bekommen? Kaffee gab’s auch?“ begrüsste der alte und neue venezolanische Präsident Hugo Chávez die anwesenden Journalisten und Parteifreunde. Und holte zu einer gut 45-minütigen Einführungsrede aus, in dessen Anschluss dann fünf zuvor ausgeloste Medienvertreter jeweils ein Frage an den Autokraten stellen durften. Und sie wurden wie gewohnt keineswegs mit knappen Antworten abgespeist.

Bis gut 15:30 Uhr ging die Show, welche natürlich live im venezolanischen Staatsfernsehen übertragen wurde. Das Ende der Pressekonferenz habe ich übrigens im Hotel verfolgt. Ich war zuvor dem Trubel und Sicherheitsmassnahmen im „Palacio Miraflores“ entflohen und hatte mich nach dem Ausflug in die klimatisierten Katakomben des Regierungssitzes wieder ins turbulente Straßenleben der Hauptstadt gestürzt.

Übrig geblieben sind einige Fotos und die Erkenntnis, dass Chávez nicht wirklich etwas Neues zu berichten hatte. Kritischen Fragen wich er wie gewohnt aus, die Selbstdarstellung stand eindeutig im Vordergrund. Dass er das schlechteste Wahlergebnis seiner bisherigen politischen Karriere schönredete und zugleich betonte, dass man nicht nur seinen Herausforderer Henrique Capriles sondern auch gleich noch eine „internationale Koalition“ bezwungen habe, ist eine andere Geschichte. Und soll ein anderes Mal erzählt werden.

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