Aus besonderem Anlass dürfe heute die Kolumne etwas länger werden. Haben mir die mitschwebenden Geister zugeflüstert. Dazu gehören auch die Geister der Erinnerung. Und wie tönen all‘ die Ausreden bei euch drüben? Wir sind ausnahmsweise auf der anderen Seite am Karibischen Meer, in Jacmel-Kabic, im Hotel meines Schweizer Freundes Rolf Lehmann aus Olten, und feiern. Rolf ist etwa gleich „alt“ wie ich. Wir feiern alle zusammen, Anna, Melissa, Rolf, Ritruvi und ich. Man überschreitet ja nur einmal im Leben die 80.
Ein Frühstück im Kabic, gepflegt wie alles, und weiter oben, ganz nahe, die Kinder, die an Hunger sterben müssen. Das ist wie Tag und Nacht, man schämt sich fast. Das steht für die Gegensätze, wie es sie NUR in Haïti gibt. NUR??? Aber: man wird NUR einmal 80 und muss Feste feiern, wie sie fallen, auch wenn es nach Hohn und Ausrede klingt .
Droben in Baie d’Orange, wieder NUR Kilometer von hier, fanden „Ärzte ohne Grenzen“ und UNO noch vor acht Jahren die Leichen von 26 verhungerten Kindern, und 60 FAST Verhungerte wurden nach Jacmel und in andere Spitäler geflogen (Kinder verhungern wie in Afrika). Und drüben „bei uns“ da prügeln sie sich für ein paar tausend Franken mehr Lohn zutod. Hier muss man sich nicht zutod prügeln, die Hungernden sterben von selbst. Ich muss nochmals daran erinnern, dass meine AHV aus der Schweiz hier für mich, die Familie und WG und etwa 100 Schüler reichen muss.
Auch „NUR“ 1 Kilometer von hier da liegt das andere Luxushotel, in dem sich kurz VOR dem Erdbeben tragischerweise mein Freund umgebracht hat, auch ein Schweizer. Er hat für die Gratisschule „SOS Enfants Haïti“ gesorgt, ebenfalls mit 400 Schülern. Ich habe auch ihm mit meinen Lesern geholfen dabei. So tragisch es ist, sich Umbringen hilft nicht, sogar im Gegenteil.
Da machen es sich gewisse Leser viel einfacher: Sie lesen nicht mehr weiter. Die meisten „entwickelten“ Menschen verfolgen diese „Vogel-Strauss-Strategie“. Strategie und -Politik, Quo Vadis. Doch da bleiben einem die herrlichsten Bissen im Halse stecken und man könnte NUR das Feiern vergessen. Aber das „kann“ ich heute mitnichten. Ich überschreite immerhin die 80!
Dass Analphabeten im Allgemeinen und die Haïtis im Besonderen „gottbegnadete“ Künstler sind, habe ich schon zur Genüge geschildert und begründet. Maler, Töpfer, Musiker, Schnitzer, Bildhauer, Metallwerker und Sänger haben es zu Weltruhm gebracht. Oder sogar zum Staatspräsidenten.
Ein anderer Schweizer Freund, Tessiner und Nachbar noch in Gresye (Gressier) hat davon gelebt. Er kannte seine Künstler rundum und kaufte deren Metallschätze zusammen, verscherbelte sie weiter in die Vereinigten Staaten und lebte von einem einzigen Kunden, und zwar recht gut. Leider verstarb er und musste das scheussliche Erdbeben nicht mehr erleben. Zum Glück, würde ich fast sagen, man weis bald nicht mehr, was man sagen muss.
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