Erdbeben sind normal und natürlich – und leider häufig. Häufiger, als es die Medien wahr haben wollen. Das war seit jeher so, auch wenn die Menschen erst seit dreihundert Jahren über Aufzeichnungen verfügen. Aber lebensvernichtende Erdbeben gab es schon vor Jahrtausenden, ja vor hunderten von Millionen Jahren, als es noch gar keine Saurier, Menschen und Medien gab. Niemand hat die Millionen von Erdbebentoten gezählt, und das geht auch so weiter. Naturkatastrophen vergisst man schnell.
Was es aber noch nicht gab, das ist Internet & Co. Von ähnlichen Katastrophen in der Vergangenheit hörte man nur zufällig und punktuell, aber das Leiden der Millionen in Schutt und Trümmern, Schlamm und Wasser geschah quasi im Dunkeln und ließ die Welt kalt. Wie rasch heute Fernsehen, Internet und Radio die Schreckensmeldungen verbreiten, hat man dieses Jahr erlebt. Gleich nach der Jahrhundertkatastrophe in Haiti berichteten die Medien die Hiobsmeldungen aus China und Chile, und schon ein Dreikäsehoch referiert über Plattentektonik und Konvektionsströmungen im Erdinnern, und während meiner zehn Schreckenstage im Freien hat die ganze Welt aus den Fernsehbildern mehr über das Geschehen gesehen als wir, die mitten darin stecken mussten.
Die Informationen werden gesteuert und sind auf Action und Schrecken getrimmt, und sie buhlen um Einschaltquoten und Unterhaltungswert. Die Gefühle werden kaum angesprochen, denn schon wartet der nächste Schock um die Ecke. Die eindrücklichsten Töne und Bilder werden zusammengeschnitten, und den Zuschauern der weiten Welt wird vorgegaukelt, es sei in der ganzen Gegend wie gezeigt. Es wird verallgemeinert und übertrieben, und vermeintlich weniger Interessantes wird ausgefiltert. Es wird aufgebauscht und sensationalisiert, und vorwiegend schlechtgeredet.
So konnte ich in den Medien, seit dem Beben bis heute, selten einmal etwas Gutes hören, selten die wohlwollende Anerkennung einer Leistung oder Institution. So werden von den Arbeiten der Sammelwerke vorwiegend die Fälle von Plünderung, Diebstahl und Veruntreuung hervorgehoben, und es entsteht der Eindruck, diese seien normal. Oder es wurde immer wieder behauptet, die Lebensmittelverteilung erreiche das Ziel nicht, sondern die Güter würden vorwiegend verkauft und die Armen könnten nicht davon profitieren. Das mag zwar vorkommen, aber ich muss sagen, dergleichen vor allem in den Medien beobachtet zu haben. Im Gegenteil: schon am zweiten Tag in unserem Freilandbiwak schnurrte ein UN-Fahrzeug zur „Brücke“, dem Endpunkt der befahrbaren Piste, und brachte uns Mais, Reis, Öl und Wasser für ein paar Tage, dann kam wieder so eine Lieferung. Ich kann den Hilfswerken nur das beste Zeugnis ausstellen. Aber die Medien wollen lieber meckern, das bringt mehr Zuschauer.
Latina-Press meldete am 21.März immer noch ein Erdbeben mit Hauseinsturz und Toten, diesmal in Cap Haitien. Das US Geological Survey registrierte das Beben nicht, auch die Fernsehanstalten meldeten nichts mehr. Die Seismographen würden Erdbeben erst ab Stärke 4.5 weitermelden, teilte die Leiterin der Abteilung Geophysik mit. Erdbeben geringerer Stärke scheinen die Medien nicht mehr zu interessieren, trotz Todesfolgen.
Ich zitiere aus einem anderen Artikel einen Kollegen, der über Haiti, das sich die Karibikinsel Hispaniola mit der Dominikanischen Republik teilt, berichtet und ebenso empfindet: „Deshalb muss ich die sensationssüchtigen Medien, die unaufhörlich und zuweilen höchst dramatisch über die Proteste berichten, leider enttäuschen. Alles ist friedlich. Hoffentlich bleibt es auch so.“ Die Ohnmacht der Medien ist das Tabu der Wahrheit. Die hat keinen Unterhaltungswert und bringt keine Einschaltquoten. Und Ohnmacht ist es auch, etwas dagegen zu tun.
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