Verschärftes Klima der Gewalt gegen Medienschaffende in Kolumbien

medienschaffende

Nach Mexiko ist Kolumbien weiterhin das gefährlichste Land Lateinamerikas für Journalistinnen und Journalisten (Foto: Archiv)
Datum: 05. Juli 2019
Uhrzeit: 07:32 Uhr
Leserecho: 0 Kommentare
Autor: Redaktion
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Reporter ohne Grenzen (ROG) kritisiert das aktuell wieder verschärfte Klima der Gewalt und Einschüchterung gegen Journalistinnen und Journalisten in Kolumbien. Der konservative Präsident Iván Duque hat seit seinem Amtsantritt im August 2018 das Friedensabkommen mit der linken FARC-Guerilla in Frage gestellt, was den internen Konflikt im Land wieder zugespitzt hat. Zwei Journalisten wurden dieses Jahr bereits ermordet, zwei kritisch Berichterstattende sahen sich gezwungen, das Land zu verlassen. Auch knapp drei Jahre nach Abschluss des Friedensabkommens werden Medienschaffende, die im Kreuzfeuer zwischen linken Splittergruppen, rechten Paramilitärs und dem Staat berichten, von allen Konfliktparteien gezielt angegriffen und verfolgt.

„Die systematischen Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten zeigen deutlich, wie fragil die Einhaltung des Friedensabkommens ist“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Drohungen und Angriffe gegen Medienschaffende müssen ernst genommen und strafrechtlich verfolgt werden. Die Regierung muss sich für die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten einsetzen, die finanziellen Mittel zum Schutz von Medienschaffenden erhöhen und die Umsetzung der im Friedensabkommen vereinbarten Regelungen zum Schutz der Pressefreiheit rasch vorantreiben.“

BEREITS ZWEI MEDIENSCHAFFENDE GETÖTET IN DIESEM JAHR

Die Arbeitsbedingungen für Medienschaffende in Kolumbien haben sich in den vergangenen Monaten deutlich verschlechtert. Dies zeigen unter anderem die Morde an zwei Medienschaffenden seit Mai: Der Dokumentarfilmer Mauricio Lezama wurde am 9. Mai in der Gemeinde Arauquita bei Drehvorbereitungen von unbekannten Bewaffneten erschossen (https://ogy.de/bcjm). Er wollte einen Kurzfilm über die Überlebenden des Bürgerkrieges in der Region drehen. Einige Wochen darauf wurde der Bürgerjournalist und Menschenrechtsaktivist José Libardo Montenegro vom Gemeinschaftsradio Samaniego Estéreo ermordet. Schwerpunkt seiner Sendung waren Lokalnachrichten aus seiner Gemeinde Samaniego; vor seinem Tod war er nicht bedroht worden.

JOURNALISTEN VON POLITIKERINNEN UND POLITIKERN DIFFAMIERT

Ebenfalls im Mai gerieten mehrere Journalisten nach der Aufdeckung eines Militärskandals massiv unter Druck. Die New York Times berichtete am 18. Mai über vertrauliche Beweisdokumente zu armeeinternen Anweisungen, die Anzahl von Festnahmen und Tötungen von Rebellinnen und Rebellen zu verdoppeln, selbst um den Preis, dass dabei Zivilistinnen und Zivilisten ums Leben kommen. Bereits in früheren Jahren war das kolumbianische Militär so vorgegangen.

Sowohl der Autor des Artikels – Nicholas Casey, der von Kolumbien aus arbeitende Leiter des NYT-Büros für die Andenregion – als auch der freie kolumbianische Fotograf Federico Ríos sahen sich nach massiven Diffamierungen über Twitter gezwungen, aus dem Land zu fliehen. Ex-Präsident Álvaro Uribe Vélez hatte die New York Times scharf für den Artikel attackiert (https://ogy.de/l81v), eine ultrarechte Senatorin und Anhängerin Uribes, María Fernanda Cabal, hatte Casey Bestechlichkeit und Nähe zu den FARC-Rebellen vorgeworfen.

Daniel Coronell, einer der angesehensten Investigativjournalisten Kolumbiens, warf am 26. Mai der Wochenzeitschrift Semana in seiner Kolumne im selben Magazin vor, seit Februar Kenntnisse über den Militärskandal gehabt zu haben und dies geheim gehalten zu haben. Trotz 19-jähriger Tätigkeit für das Blatt wurde die Zusammenarbeit mit sofortiger Wirkung beendet. (https://ogy.de/1spl) Eine Woche später kehrte Coronell allerdings nach einem Einvernehmen mit der Redaktion zu Semana zurück. Wie Semana am 23. Juni berichtete, sucht das kolumbianische Militär inzwischen mit Hochdruck nach den Whistleblowern in den eigenen Reihen, die unter anderem mit der New York Times gesprochen haben. Kolumbien war lange eins der gefährlichsten Länder der Welt für Journalistinnen und Journalisten. Zwischen 1977 und 2015 wurden in Kolumbien 152 Medienschaffende getötet. Ab 2016 schien sich die Lage zu verbessern: 2016 wurde in Kolumbien kein Journalist ermordet, 2017 einer. 2018 und ersten Halbjahr 2019 gab allerdings wieder jeweils zwei Morde.

Ende 2016 wurde der über 50 Jahre währende, bürgerkriegsähnliche Konflikt in Kolumbien durch ein Friedensabkommen zwischen der Regierung und der FARC-Guerrilla offiziell beendet. Mehrere Punkte des Friedensabkommens (im Volltext hier: https://ogy.de/tbdv) haben direkte Auswirkungen auf die Pressefreiheit. Dazu gehört die Zusage, Verfahren für eine transparente Vergabe öffentlicher Werbung zu schaffen, damit die völlig unregulierte und intransparente Vergabe großer staatlicher Werbeetats nicht weiter zur Belohnung oder Bestrafung für die Berichterstattung eingesetzt werden kann. Ausdrücklich würdigt das Abkommen die Rolle nichtkommerzieller medios comunitarios, meist lokaler Radiosender, die in ländlichen Regionen eine wichtige Rolle für den sozialen Zusammenhalt und die Bewahrung der Kultur der indigenen Bevölkerung spielen. Für sie sollten neue Zulassungsverfahren eröffnet und Schulungsangebote für Beschäftigte geschaffen werden. Zur Förderung der demokratischen Kultur sieht der Friedensvertrag die Einrichtung eines öffentlichen Fernsehsenders vor, der als Plattform zur Vorstellung der Programme von politischen Parteien, sozialen Bewegungen und Organisationen dienen soll. Eine Studie zur Umsetzung des Friedensabkommens des Kroc Institute for International Peace Studies der University of Notre Dame in Indiana, USA, kam im Dezember 2018 zu dem Schluss, dass diese Punkte zwar schon angegangen, aber noch nicht umfassend umgesetzt wurden.

KLIMA DER ANGST FÜHRT ZU SELBSTZENSUR

Knapp drei nach dem Friedensabkommen ist kritische Berichterstattung in den ländlichen Regionen noch immer schwierig und gefährlich. Verschiedene bewaffnete Gruppen versuchen, medienschaffende zum Schweigen zu bringen, die über ihre Aktivitäten berichten. Gefahr droht nicht nur von verschiedenen Abspaltungen der FARC, sondern auch von den paramilitärischen Vereinigten Bürgerwehren AUC, der Nationalen Befreiungsarmee ELN, den Drogenkartellen und einer Vielzahl lokaler Mafiagruppen. Besonders betroffen sind alternative und zivilgesellschaftliche Medien. Das kolumbianische Verfassungsgericht bestätigte am 27. Mai, das lokal Berichterstattende besonders gefährdet sind, und betonte, dass der Staat Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten verhindern müsse.

Zum nationalen Tag des Journalismus in Kolumbien veröffentlichten ROG und die kolumbianische Journalistengewerkschaft FECOLPER im Februar einen Sonderbericht zu den Entwicklungen des Journalismus in der Region Guajira im Nordosten Kolumbiens. Dort ist die Situation besonders gefährlich für Lokaljournalistinnen und -journalisten, denn hier ist nach wie vor die marxistisch-leninistische Nationale Befreiungsarmee ELN aktiv, die mit 1.500 Rebellinnen und Rebellen im Osten des Landes Anschläge verübt und Geiseln nimmt. (https://ogy.de/bih5) Recherchearbeiten zu den Aktivitäten krimineller Banden, den Verbindungen etwa zwischen Drogenbaronen und Vertretern des Staates, sind lebensgefährlich. Zum einen wegen der nicht funktionierenden offiziellen Schutzprogramme für Journalistinnen und Journalisten, zum anderen, weil sich Politik und organisiertes Verbrechen oft zusammentun, um mutige Kritikerinnen und Kritiker zum Schweigen zu bringen. Die Straflosigkeit von Verbrechen gegen Journalistinnen und Journalisten liegt bei 90 Prozent. Viele Medienschaffende verzichten auf kritische Berichterstattung aus Angst, bedroht, entführt, gefoltert oder getötet zu werden.

Ein weiteres großes Problem für die Pressefreiheit in Kolumbien ist der fehlende Medienpluralismus. Die hohe Medienkonzentration ist eine Gefahr für eine freie demokratische Debatte. Laut dem Projekt Media Ownership Monitor Kolumbien (https://ogy.de/zyxn), das ROG und FECOLPER 2015 gemeinsam durchgeführt haben, greifen vier von fünf Kolumbianerinnen und Kolumbianern auf Nachrichten von nur acht Medienunternehmen zurück, wenn sie sich informieren wollen. Nicht selten haben Medienhäuser enge Beziehungen zur Regierung oder werden gar durch Parteien kontrolliert. So war etwa der ehemalige Geschäftsführer der Zeitung El Colombiano, Luis Miguel de Bedout Hernández, Bürgermeister von Medellín, Gouverneur der Gemeinde Antioquia, Verkehrsminister, Senator und Botschafter.

Nach Mexiko ist Kolumbien weiterhin das gefährlichste Land Lateinamerikas für Journalistinnen und Journalisten. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Kolumbien auf Platz 129 von 180 Staaten.

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