Basierend auf der Gauß-Verteilung haben Forscher aus Bochum und Zürich die zeitliche Entwicklung der Infektionszahlen und Sterberaten im Zuge der Coronapandemie prognostiziert. In das Modell gingen Daten aus 25 Ländern, unter anderem aus Deutschland, ein. Zwei Arbeiten dazu sind auf einem Preprint-Server veröffentlicht. Die Ergebnisse für Deutschland veröffentlichten Prof. Dr. Reinhard Schlickeiser, Seniorprofessor an der Fakultät für Physik und Astronomie der Ruhr-Universität Bochum, und sein Sohn Dr. Frank Schlickeiser am 2. April 2020 auf einem Preprint-Server. Gemeinsam mit dem Team von Martin Kröger, Titularprofessor für Computergestützte Polymerphysik am Departement Materialwissenschaft der Eidgenössisch Technischen Hochschule Zürich, wiederholten sie die Berechnungen mit einer präziseren Datenbasis und einer leicht modifizierten Methode am 2. April für alle insgesamt 25 Länder, für die bereits verwertbare Daten vorlagen; auf einer Webseite des Polymerphysikers an der ETH Zürich werden die Ergebnisse seitdem laufend aktualisiert veröffentlicht. Seit dem 11. April ist die zweite Arbeit außerdem auf einem Preprint-Server verfügbar. Beide Arbeiten haben noch kein Peer-Review-Verfahren durchlaufen.
Infektionsgeschehen scheint einer Gauß-Verteilung zu folgen
In ihrem Modell gehen die Forscher davon aus, dass sich der zeitliche Verlauf der Corona-Neuinfektionen und Sterberaten durch die glockenförmige Gauß-Verteilung beschreiben lässt. Die Annahme beruht auf Daten zur zeitlichen Entwicklung, die bei früheren Epidemien mit anderen Erregern beobachtet wurden. Im ersten Artikel, veröffentlicht am 2. April, hatten Frank und Reinhard Schlickeiser die Verdopplungszeit der Neuinfektionen in Deutschland als Basis für ihre Berechnungen genutzt. Das Modell sagte darauf basierend voraus, dass die Anzahl an Neuinfektionen am 11. April in Deutschland ihren Höhepunkt erreichen würde (plus/minus vier Tage) und dass der größte Andrang in den Kliniken um den 18. April herum zu erwarten sei.
Tägliche Sterberaten aus 25 Ländern als Datenbasis
In einer zweiten Berechnung, die inzwischen zur Publikation eingereicht wurde, nutzten Frank und Reinhard Schlickeiser gemeinsam mit dem Team um Martin Kröger die täglichen Sterberaten aus 25 Ländern als Datenbasis für Berechnungen mit dem Gauß-Modell. „Die Sterberaten sind besser dokumentiert und somit eine präzisere Datenbasis als die tägliche Anzahl der Neuinfektionen“, erklärt Reinhard Schlickeiser. Bis zum 2. April erhobene Daten gingen in die neue Berechnung ein.
Für 25 Länder, darunter Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien, bestimmten die Forscher die Gauß-Verteilung, die die Daten des jeweiligen Landes bestmöglich beschreibt. Eine Gauß-Kurve wird dabei durch drei charakteristische Parameter beschrieben: die Breite der Kurve, die maximale Höhe und die Position auf der x-Achse oder anders ausgedrückt der Zeitpunkt, bei dem die Kurve ihr Maximum erreicht. Diese Parameter variieren von Land zu Land. Anhand der spezifischen Kurve eines Landes lässt sich die tägliche Sterberate für bestimmte Zeitpunkte in der Zukunft prognostizieren, um damit beispielsweise die benötigten klinischen Ressourcen abzuschätzen.
Die mit dem Modell prognostizierten Sterberaten aktualisieren die Forscher täglich, wobei sie jeweils die neusten verfügbaren Daten einbeziehen, wodurch die Genauigkeit wächst. Die Ergebnisse veröffentlichen sie auf der Webseite http://www.complexfluids.ethz.ch/corona.
Einfaches Modell für schnelle Abschätzungen
„Das Modell erscheint auf den ersten Blick zu einfach, um eine verlässliche Vorhersagekraft zu haben“, schreiben die Autoren in ihrem Paper. „Aber es beschreibt die bislang verfügbaren Daten gut, auch die der ersten Epidemiewelle in China.“ Die Forscher weisen jedoch darauf hin, dass man erst im Nachhinein wird sagen können, ob sich das Modell bewährt hat. Da manche Länder den Peak der ersten Coronawelle bald überschritten haben werden, können die nächsten Wochen Erkenntnisse über die Zuverlässigkeit der Methode liefern. Das Team geht davon aus, dass die Gauß-Verteilung vor allem die Zahlen bis zum Maximum und kurz danach gut beschreiben wird. Nach dem Maximum wird die Gauß-Glocke, die die erste Coronawelle modelliert, von weiteren Gauß-Glocken überlagert.
„Wir sind keine Epidemiologen und wollen mit diesem Ansatz nicht die umfangreichen epidemiologischen Modelle infrage stellen, die zur Simulation des Infektionsgeschehens eingesetzt werden“, sagt Reinhard Schlickeiser. „Unser Ziel ist es, einen Ansatz vorzuschlagen, mit dem sich relevante Kennziffern wie die Anzahl der Neuinfektionen, Sterberaten und Beatmungsgeräte schnell und einfach abschätzen lassen könnten, weil das eventuell auch für Länder nützlich sein könnte, in denen die Rahmenbedingungen für aufwendige Simulationen nicht gegeben sind.“
Zweites Modell aus Bochum
Unabhängig von diesen Arbeiten hat ein Ingenieur der Ruhr-Universität Bochum ein Modell vorgeschlagen, mit dem sich die Infektionszahlen im Zuge der Coronapandemie abschätzen lassen könnten.
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