Gestern Abend vergriff ich mich an der Fernbedienung und tat etwas, was ich sonst vermied: ich zockte. Weniger aus Gewohnheit denn als Zeitvertreib. Ich war allein, was ich sonst ebenfalls vermeide und wenn eine Ausnahme gilt muss auch ich mal kochen, und das kann ich nicht riechen, ich bin zu faul. So koche ich etwa wie die Amerikaner, was eben minutenrasch geht. und worüber ich sonst spotte. Auch drei Minuten warten ist mir oft zu lang, und das TV- Zimmer liegt gleich neben der Küche, und die Fernbedienung auch. Sie sehen wie ich mich entschuldige, wenigstens….
Aber diesmal war es anders. Es packte mich derart, dass ich in die Küche rauslief, nicht weil etwas überkochte, sondern weil ich das Gas abstellte und die Esserei verschob. Es sollte sich um mehr als eine Stunde handeln.
Erst noch haben wir gefragt, was Voudou eigentlich sei: eine Religion, eine Philosophie, Psychologie oder Parapsychologie, Magie oder Lebensstil, oder alles zusammen.
So wie das Christentum eine monotheistische Religion ist, man glaubt nur an einen einzigen Gott, ist Voudou als Religion polytheistisch, beherrscht von vielen Göttern. Die Christen sagen dem abschätzig „Heidentum“. Das ist unrecht, denn jede Religion hat ihre Gläubigen, und für sie ist Wirklichkeit, was die Religion lehrt. Beweisen lässt sich eben nichts. Wir haben es schon gesagt: allen Religionen ist gemeinsam, dass sie die Fragen der Herkunft und Entstehung, der Ewigkeit, des Lebens nach dem Tod, dem Grund und Zweck unseres Lebens erklären wollen, niemand kann sagen, ob richtig oder falsch. Und wie bei den Christen, so trifft man auch im Voudou ein Forum von Hochausgebildeten, Starkünstlern, Topdenkern. Voudou „gehört“ nicht nur „dazu“.
Als Religion, als Philosophie, Psychologie, Magie oder Lebensstil, meine ich natürlich den gelebten, nicht inszenierten Voudou. Als inszeniert betrachte ich Voudou-Veranstaltungen als Folklore und im Museum, wie das der Tourismus mit sich bringt. Inszenierten Voudou erleben wir im Hotel Oloffson, das durch Graham Green berühmt wurde und heute durch den Rockmusiker und RAM-Leader Richard Morse als Kultstätte der Voudou-Künste geführt wird, oder in Musicals und Theater, vom Broadway bis Tokyo.
Aber heute wurde Voudou noch zu etwas anderem: zum Happening, zur breit inszenierten TV-Show. Ein einheimischer Fernsehsender hat Voudou hochstilisiert zu einer einstündigen Darbietung, in die alles eingebaut wurde, was damit zu tun hat. Anstelle der üblichen reizvollen Ansagerin präsentierte ein grauhaariger Großpapa die Monstershow, zugleich Hohepriester in Goldbrokat und Seide, und der beherrschte alles was dazu gehört hervorragend, Götter, Dramaturgie und Technologie.
Ein Aufgebot von einigen Hundertschaften präsentierte sich als Volk. Die Requisiteure leisteten ganze Arbeit, mit Ausnahme des Präsentators traten alle Darsteller in weiten weißen Kleidern, man müsste fast sagen Uniformen auf. Die Damen trugen überdies ein weißes Kopftuch, weiße Tücher hatten viele auch um die Arme gebunden. Die Röcke waren weit und von gleichartigem, glockenförmigem Schnitt, sodass sie sich im Tanz leicht hochheben ließen. Die Einheitstracht wurde bereichert durch aufgestickte Bänder, alle in einheitlichem Darkcyan wie der Götterhimmel.
Für das Orchester hatte der Requisiteur ganze Arbeit geleistet. Die großen Handtrommeln waren sauber geputzt und in senkrechten Streifen in bunten Farben bemalt. Die zerbeulten, oxydierten Trompeten und Posaunen fehlten, dafür kamen große, ebenfalls sauber polierte Muschelhörner zum Einsatz.
Auch der Choreograph hatte gute Arbeit geleistet. In Zweierkolonne tanzten die Hundertschaften herein auf den Festplatz, die komplizierten Bewegungen synchronisiert, und ließen diszipliniert die Stätten späteren Geschehens frei, alles muss gut eingeübt worden sein. Die Marschordnung stand der einer US-amerikanischen Straßen- und Marionettenparade kaum nach.
Die folgende Tanzstunde schien außer Kontrolle, nicht mehr gestellt. Die Tänzerinnen rüttelten und zuckten, quirlten und rollten, schaukelten und schleuderten, schnellten und wirbelten wild durcheinander. Die brauchen keine Tricks mehr für den flachen Bauch. Sie zogen die Röcke hoch, schlugen sich mit den weißen Tüchern ins Gesicht, zuckten und sackten zusammen, dann wirbelten sie wieder wild weiter und schrien ohrenbetäubende Lieder, hektisch begleitet von der Trommlerkapelle und kräftigen Horn Stößen. Auch musikalisch schien sich die Szene verselbständigt zu haben. Rhythmen und Melodien dudelten so durcheinander, dass sie kaum mehr erkennbar waren. Eine fernsehgerechte Vertonung im Playback wäre da nicht mehr möglich gewesen.
Schon am Anfang hatte sich ein Bodenbildner an die freigelassene Stelle gedrängt und begann mit geschickten Fingerbewegungen ein Vévé-Streubild hinzuzaubern. Streumaterial war ein helles Pulver, wahrscheinlich Mais, der ihm von tanzenden Mädchen in Schalen zugetragen wurde. Der Mann verfügte über eine große Fingerfertigkeit und „malte“ so offenbar nicht zum erstemal. Das Streubild war gegen 2 Meter hoch und ebenso breit und schien recht kompliziert, aber faszinierend. Wenn das statt Wegwerf-Kunst auf Leinwand entstanden wäre, hätte es an einer US-europäischen Versteigerung wohl Millionen gelöst. Schließlich bordete der Künstler die weißen Linien beidseits noch mit einem schwarzen Pulver, wahrscheinlich Kaffee. Zum Schluss übernahm der „Hohepriester“ die Schau und ringte das ganze Gebilde mit einem hellen Pulver. Die Tänze brausten während der gesamten Stunde um das Vévé-Bild herum, ohne den Ring je zu berühren.
Oh Wunder, etwa eine Minute vor Ende der Sendung und zu voller Stunde wurde das Bild fertig, und In Zweierkolonne tanzten die Hundertschaften wieder hinaus, weg von der Arena, hinaus ins wirkliche Leben. Pünktlich war die Sendung und die arrangierte-Voudou-Show zu Ende.
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