Nicaragua: Unabhängige Journalisten müssen ins Ausland fliehen

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Reporter ohne Grenzen (RSF) verurteilt die Verfolgung unabhängiger Medien durch den nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega (Foto: Archiv)
Datum: 02. August 2022
Uhrzeit: 10:50 Uhr
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Autor: Redaktion
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Reporter ohne Grenzen (RSF) verurteilt die Verfolgung unabhängiger Medien durch den nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega, die in den vergangenen Wochen einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Die letzten Mitarbeitenden der Zeitung La Prensa sahen sich im Juli gezwungen, Nicaragua heimlich zu verlassen. Damit muss nun die gesamte Belegschaft der Zeitung aufgrund zunehmender Schikanen ihre Arbeit außerhalb des Landes verrichten. In der Nacht zum 6. Juli durchsuchte die Polizei in der Hauptstadt Managua in einer groß angelegten Aktion die Wohnungen von mehreren Mitarbeitenden der Zeitung: einer Journalistin, einem Fotografen, einem Verwaltungsangestellten und zwei Fahrern. Die beiden Fahrer wurden noch am selben Tag in Haft genommen, ohne dass von den Behörden eine Begründung gegeben wurde. Als die anderen Mitarbeitenden, deren Wohnungen durchsucht worden waren, von den Festnahmen erfuhren, tauchten sie unter und entgingen so der Verhaftung. Sie waren jedoch gezwungen, heimlich aus dem Land zu fliehen. „Es ist erschütternd, zu welchen Mitteln die Regierung Ortega greift, um Medienschaffende zum Schweigen zu bringen“, sagte RSF-Vorstandssprecher Michael Rediske. „Die unabhängige Presse in Nicaragua liegt im Sterben, die letzten regierungskritische Stimmen verschwinden. La Prensa ist eine der letzten Bastionen des unabhängigen Journalismus in Nicaragua. Ihre Berichterstattung ist für die Menschen im Land unverzichtbar.“

Die Vorfälle im Juli waren die letzten in einer langen Reihe von Behördenschikanen gegen La Prensa: Am 13. August 2021 wurde die Zentralredaktion der Zeitung in Managua willkürlich von der Polizei geschlossen, Geschäftsführer Juan Lorenzo Holmann Chamorro wurde in Haft genommen. Seitdem konnten die Mitarbeitenden der Zeitung nicht mehr in das Gebäude zurückkehren. Die gesamte technische Ausrüstung einschließlich der Rotationsdruckmaschine wurde von der Polizei beschlagnahmt. Seit diesem Tag erscheint keine Druckversion der Zeitung mehr. Bereits ab 2019 waren der Zeitung gezielt Druckpapier und andere Rohstoffe vorenthalten worden; die Redaktion hatte es aber trotzdem geschafft, weiterhin eine Papierausgabe herauszubringen. La Prensa kann weiterhin als Nachrichten-Website erscheinen, da sich die Server dem Zugriff der Regierung entziehen und das Redaktionsteam nun von außerhalb Nicaraguas sowie im Verborgenen arbeitet. Holmann Chamorro verbüßt eine neunjährige Haftstrafe wegen angeblicher Geldwäsche. Für diesen Vorwurf haben die Behörden allerdings keinerlei Beweise vorgelegt. Seit seiner Inhaftierung wird Holmann Chamorro der Zugang zu medizinischer Versorgung und zu seinem Anwalt verwehrt.

Das System Ortega: juristische und wirtschaftliche Schikanen

Daniel Ortega ist nach einer ersten Amtszeit von 1979 bis 1990 seit 2007 wieder Präsident Nicaraguas. Um die totale Kontrolle über die journalistische Berichterstattung im Land zu erlangen, geht er mit einer Kombination aus juristischen Schikanen und wirtschaftlichem Ausblutenlassen gegen unabhängige Medien vor. Dazu gehören Diskriminierungen bei der Zuteilung staatlicher Werbemittel, Beschränkungen bei der Einfuhr von journalistischer Ausrüstung, vorgeschobene Rechnungsprüfungen, willkürliche Verhaftungen sowie absurde und verfassungswidrige Gesetze. Zwei weitere Medien, Confidencial und 100% Noticias, ereilte 2018 ein ähnliches Schicksal wie La Prensa: die Polizei stürmte die Räumlichkeiten und beschlagnahmte und konfiszierte ihre Ausrüstung.

Die Wiederwahl Ortegas im Jahr 2021 für eine vierte Amtszeit in Folge führte zu einer Abwanderungswelle von Medienschaffenden. Nach Angaben der Vereinigung Unabhängiger Journalisten und Kommunikatoren Nicaraguas (PCIN), der viele der unabhängigen Journalistinnen und Journalisten des Landes angehören, leben mindestens 140 nicaraguanische Medienschaffende im Exil, die meisten von ihnen in Costa Rica, den Vereinigten Staaten und Spanien. Sie verließen das Land, weil sie in Nicaragua willkürlichen Gerichtsverfahren ausgesetzt sind, von der Polizei bespitzelt wurden oder direkt ins Visier der Regierung geraten waren. Viele verließen das Land heimlich und setzten dabei ihr Leben aufs Spiel. Anderen, die versuchten, Nicaragua auf legalem Wege zu verlassen, wurden die Reisepässe entzogen, was eine legale Ausreise nun unmöglich macht.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Nicaragua auf Platz 160 von 180 Staaten. Mehr zur Lage der Journalistinnen und Journalisten vor Ort finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/nicaragua.

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