Brasilien: Verbindungen zwischen Lulas PT und Scholz‘ SPD

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Luiz Inácio Lula da Silva während eines Abendessens mit Olaf Scholz (Foto: (RicardoStuckert/PR)
Datum: 04. Dezember 2023
Uhrzeit: 13:01 Uhr
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Präsident Luiz Inácio Lula da Silva ist am Sonntag (03.12.) zu der ersten offiziellen Reise eines brasilianischen Staatschefs nach Deutschland seit 2012 in Berlin eingetroffen. Die Reise markiert nicht nur eine neue Etappe in der Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen den beiden Ländern, sondern bringt auch Persönlichkeiten aus zwei Parteien zusammen, die seit Jahrzehnten enge Beziehungen pflegen: Lulas Arbeiterpartei (PT) und die Sozialdemokratische Partei (SPD) von Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Beide Parteien sind Mitte-Links-Parteien und während ihrer gesamten Laufbahn eng mit der Gewerkschaftsbewegung verbunden. Die politische Zusammenarbeit zwischen PT und SPD reicht bis in die 1980er Jahre zurück.

Die Anfänge: Gewerkschaftsbewegung und Lulas Treffen mit Bundeskanzler Helmut Schmidt

Die ersten Verbindungen zwischen PT- und SPD-Mitgliedern gab es bereits vor der Gründung der brasilianischen Partei. Als Lula 1979 Streiks in der ABC (Metallgewerkschaften im ABC Paulista) anführte, erhielt er mehrere Solidaritätsbekundungen von der einflussreichen deutschen Metallarbeitergewerkschaft IG Metall, deren Führer traditionell mit der SPD verbunden sind. Im ersten Band seiner Lula-Biografie (Cia. das Letras) weist der Journalist Fernando Morais darauf hin, dass der Bankier Herbert Levy, damals Eigentümer der Zeitung Gazeta Mercantil, in den 1970er Jahren glaubte, Lula sei ein „Agent der deutschen Gewerkschaftsbewegung“. Lulas Beziehungen zur IG Metall wurden sogar in einem Bericht von Cenimar, einer mit der brasilianischen Marine verbundenen Repressionsbehörde, erörtert, in dem auf Spenden der deutschen Gewerkschaft an einen Streikfonds im ABC hingewiesen wurde.

Im selben Jahr traf der Sozialdemokrat Helmut Schmidt, der zwischen 1974 und 1982 Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland war, im April in Brasilien mit Lula zusammen, auf dem Höhepunkt der Militärdiktatur, als der Brasilianer aus der Metallarbeitergewerkschaft von São Bernardo do Campo und Diadema ausgeschlossen worden war, nachdem das Regime in die Organisation eingegriffen hatte. Während seiner Reise sagte Schmidt auch, dass deutsche Unternehmen, die in Lateinamerika tätig sind, die Gewerkschaften als Teil einer demokratischen Gesellschaft anerkennen müssten. Dreißig Jahre später, als Präsident, erwiderte Lula während einer Staatsreise nach Deutschland den Besuch bei Schmidt, der damals fast 91 Jahre alt war. „Ich bin sehr stolz darauf, einen Gewerkschafter als Präsidenten Brasiliens zu sehen“, sagte Schmidt damals. Als Schmidt im November 2015 im Alter von 96 Jahren starb, erwähnte Lula das Treffen von 1979 noch einmal in einem Schreiben des Bedauerns. „Er legte Wert darauf, mich 1979 zu treffen, zu einer Zeit, als ich durch das Gesetz über die nationale Sicherheit der Militärdiktatur gegängelt wurde. Für diese große Geste werde ich ihm ewig dankbar sein. Die Welt braucht mehr Führer wie Helmut“, schrieb Lula.

Regelmäßige Austausche

1985 nahm die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) ihre Arbeit in Brasilien auf und pflegte enge Kontakte zur PT und später zur parteinahen Stiftung Perseu Abramo. Seitdem hat die FES sowohl in Brasilien als auch in Deutschland Veranstaltungen organisiert, die PT-Mitglieder und deutsche Sozialdemokraten zusammenbrachten. Einige dieser Treffen in Deutschland fanden zu Zeiten statt, als die Zahlen der PT auf dem Tiefpunkt waren, nämlich zwischen 2017 und 2020, nach der Amtsenthebung von Dilma Rousefff und in der Zeit, als Lula noch versuchte, seine politischen Rechte wiederzuerlangen, was den beiden ehemaligen Präsidenten in Europa ein Schaufenster bot, um die politische und rechtliche Situation in Brasilien zu kritisieren. Bei diesen Gelegenheiten trafen sich Lula und Dilma mit verschiedenen SPD-Vertretern. Im Jahr 2020 reiste Lula auf seiner zweiten Auslandsreise nach seiner Haftentlassung nach Berlin und traf sich mit dem damaligen SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans. Im Jahr 2005, anlässlich des 80. Jahrestages der Gründung, schrieb Lula, dass die Geschichte der PT und der Central Única dos Trabalhadores (CUT) eng mit der Rolle der FES in Brasilien verbunden sei und wies darauf hin, dass die Organisation der PT „in schlechten Zeiten“ immer zur Seite gestanden und „internationale Solidarität“ gezeigt habe.

Ära Schröder: Ausrichtung auf internationale Fragen

Im Jahr 2003, nach Lulas Amtsantritt, war Deutschland das Ziel des ersten offiziellen Besuchs des neuen Präsidenten außerhalb Lateinamerikas. Damals wurde er von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundespräsident Johannes Rau empfangen, die beide der SPD angehörten. Wie Schmidt kannte auch Rau Lula aus seiner Gewerkschaftszeit. Während ihrer Regierungszeit (2003-2005) stimmten sich Schröder und Lula in verschiedenen internationalen Fragen ab, die zum Teil noch Jahrzehnte später anstehen, wie die Reform der internationalen Organisationen und die Verhandlungen über das Handelsabkommen zwischen dem Mercosur und der Europäischen Union. Insbesondere forderten die beiden Staats- und Regierungschefs gemeinsam eine Reform des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, um ihre jeweiligen Länder in dieses Gremium einzubeziehen. Lula und Schröder sprachen sich damals auch öffentlich gegen die Pläne der Vereinigten Staaten für eine Invasion im Irak aus.

Solidarität während „Lava Jato“

In der Zeit, in der Lula und die PT im Visier der Lava Jato-Operation standen, bekundeten SPD-Politiker wiederholt ihre Solidarität mit dem ehemaligen Präsidenten und der Partei. Monate vor Lulas Verhaftung, im Januar 2018, veröffentlichte die SPD-Politikerin und ehemalige Justizministerin der Regierung Schröder, Herta Däubler-Gmelin, einen Text, in dem sie das Verhalten des damaligen Richters Sergio Moro und das Verfahren gegen Lula kritisierte, eineinhalb Jahre vor den Vaza-Jato-Enthüllungen. „Während des Prozesses gegen Lula hat die brasilianische Justiz wiederholt grundlegende Prinzipien wie die richterliche Unparteilichkeit und das Recht auf ein faires Verfahren missachtet. In den Anhörungen werden oft schnell schwerwiegende Verfahrensverstöße bei Ermittlungen und Prozessen aufgedeckt, was den Verdacht aufkommen lässt, dass die Justizverfahren für politische Zwecke missbraucht werden. Seine Motive sind klar: Moro muss den eklatanten Mangel an Beweisen gegen Lula vertuschen“, schrieb Däubler-Gmelin.

Schon beim Sturz der Regierung Dilma Rousseff im Jahr 2016 kritisierten einige SPD-Abgeordnete das Amtsenthebungsverfahren gegen die damalige Präsidentin. „Trotz intensiver Ermittlungen gibt es jedoch keine belastbaren Beweise dafür, dass Dilma Rousseff oder ihr Vorgänger Luiz Inácio Lula da Silva in den Petrobras-Skandal verwickelt waren“, hieß es damals in einer Mitteilung von Abgeordneten der Partei, darunter auch Niels Annen, der heute Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der Regierung Scholz ist. Nach der Verhaftung Lulas im April 2018 zeigten sich auch Mitglieder der SPD wieder solidarisch. Die sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Yasmin Fahimi organisierte zwischen 2018 und 2019 sogar eine Kampagne in Deutschland, um sich für die Freilassung Lulas einzusetzen. Die bekannteste Geste der Solidarität war der Besuch des ehemaligen SPD-Vorsitzenden und Präsidenten des Europäischen Parlaments Martin Schulz bei Lula im Jahr 2018, als dieser im Hauptquartier der Bundespolizei in Curitiba inhaftiert war. Schulz war zu dieser Zeit Vorsitzender der FES in Deutschland. Schulz sagte damals, dass er in Curitiba die Solidarität der europäischen Sozialdemokraten zum Ausdruck bringen wollte und die Reise „auf Wunsch von Andrea Nahles“, der damaligen SPD-Vorsitzenden, gemacht habe. Er sagte auch, dass er den Besuch mit dem damaligen deutschen Außenminister Heiko Maas, einem anderen SPD-Mitglied, besprochen habe.

Enthusiasmus für Lulas Rückkehr

Nachdem Lula 2021 seine politischen Rechte wiedererlangt hatte, machten Mitglieder der SPD keinen Hehl daraus, dass sie mit einer erneuten Präsidentschaftskandidatur der PT sympathisierten. Zu dieser Zeit war die SPD Teil einer Koalitionsregierung mit Angela Merkels Christdemokraten, und die Beziehungen zwischen Deutschland und Brasilien waren durch Jair Messias Bolsonaros Isolationismus und Abbau der Umweltpolitik erschüttert. Im Jahr 2021 traf sich Lula bei einem weiteren Besuch in Berlin mit mehreren SPD-Vertretern, darunter Olaf Scholz, der einige Wochen zuvor die Bundestagswahl gewonnen hatte und noch dabei war, eine neue Regierung als Merkels Nachfolger zusammenzustellen. Diese Geste wurde zusammen mit Lulas Besuchen in Frankreich und Spanien als politischer Triumph für Lula gewertet und bildete einen Kontrast zur internationalen Isolation von Bolsonaro, der Deutschland noch nie einen offiziellen Besuch abgestattet hat. „Ich bin sehr zufrieden mit unseren guten Gesprächen und freue mich darauf, unseren Dialog fortzusetzen!“, schrieb Scholz nach dem Treffen. Lula und die PT hatten der SPD auch öffentlich zu ihrem Wahlsieg gratuliert. Auf derselben Reise traf Lula erneut mit Martin Schulz zusammen und bezeichnete den Sozialdemokraten als „Begleiter in schwierigsten Zeiten“.

„Lula ist Brasiliens Hoffnung auf ein Ende von Jair Bolsonaros Politik der Spaltung und Provokation“, schrieb Schulz auf Twitter zu dem Treffen. „Viel Glück in den kommenden Monaten!“ Im August 2022, Wochen vor der Präsidentschaftswahl in Brasilien, war der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil in Brasilien und erklärte, dass seine Partei einen Sieg Lulas bevorzuge. „Wir alle in Deutschland haben die große Hoffnung, dass der nächste Präsident wieder Lula sein wird“, sagte Klingbeil gegenüber „DW Brasil“ am Vorabend eines Treffens mit dem Kandidaten in São Paulo. Nach dem Sieg Lulas in der zweiten Runde gratulierten Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier – ebenfalls SPD-Mitglied – dem PT-Kandidaten umgehend. Steinmeier war seinerseits bei Lulas Amtseinführung im Januar dabei. „Es ist gut zu wissen, dass Brasilien zurück ist“, sagte der Bundespräsident damals. Steinmeier und Lula haben sich in der Vergangenheit bereits mehrfach getroffen, auch wenn beide nicht in Regierungsverantwortung waren, so zum Beispiel 2012 bei einer von der FES organisierten Debatte in Berlin. Im Januar stattete Scholz Brasilia einen Staatsbesuch ab, den ersten eines deutschen Bundeskanzlers seit mehr als sieben Jahren. Lulas Besuch in Berlin im Dezember wird das vierte Treffen zwischen den beiden Staatschefs im Jahr 2023 sein. Sie trafen sich auch am Rande des G7-Gipfels und der Generalversammlung der Vereinten Nationen.

„Schwesterparteien“

Im Juni 2023 erinnerten die PT und die SPD mit der Unterzeichnung eines Abkommens über die politische Zusammenarbeit an ihre alten Bande. Das von der PT-Vorsitzenden Gleisi Hoffmann und dem SPD-Ko-Vorsitzenden Lars Klingbeil unterzeichnete Dokument bezeichnet die beiden Parteien als „Schwesterparteien“ und verweist auf die bis in die 1980er Jahre zurückreichende Geschichte der Solidarität und des gemeinsamen Handelns. Das neue Protokoll sieht jährliche hochrangige Treffen zwischen den Parteivorsitzenden vor, um die Zusammenarbeit bei Themen wie dem „Kampf gegen die extreme Rechte“, dem „Klimaschutz“, der Verteidigung des Multilateralismus und der Reform internationaler Organisationen zu diskutieren.

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