Auf der Strasse spielen sie ums „Glück“

Borlette

Datum: 14. November 2009
Uhrzeit: 12:44 Uhr
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Autor: Otto Hegnauer
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

BorletteDass in Haiti alles anders ist, daran haben sich meine Leser nun gewöhnt. Die schwarze Haut, der blaue Himmel, das Essen – es ist spärlich, das Geld – man macht’s auf der Straße, Ordnung und Sauberkeit – die gibt es noch kaum, die Sprache – ein Fall für sich.

Die Haitianer sprechen Kreolisch. Reinrassig wäre übertrieben. Um Revolten vorzubeugen, kauften die Weißen schwarze Sklaven aus Stämmen, die sich wegen ihrer fremden Sprachen nicht verstanden. Aus dieser „Sprachlosigkeit“ entstand eine neue Sprache, das Kreolisch. Kreolisch spricht man auf der Straße, auf dem Feld. Wer versteht das schon.

Die spärlichen Gebildeten sprechen eine Art Französisch, glaubt man den Büchern, gut vorbereitet auf eine so verrückte Reise. Aber oha, man stößt allenthalben an Sinnverschiebungen.Viele Wörter versteht man durchaus „richtig“ in Französisch, sie ergeben aber keinen oder einen unerwarteten Sinn auf Kreolisch. „Cabane“ französisch ist eine Hütte, ein ganzes Haus, kreolisch aber nur ein Bett, „l’estomac“ ist französisch der Magen, kreolisch die Brust, „saisissement“ bedeutet französisch eine tiefe Ergriffenheit, kreolisch bereits eine Ohnmacht und ein „Nègre“ ist kein Neger sondern eine (z.B. auch weiße) Person ( übrigens nicht despektierlich gemeint, wie in deutsch ) und wenn Sie nach der „Banque“ fragen, werden Sie in die Spielbank, das Kasino, geführt.

Dort wird gewettet und gespielt, und weh denen, die das Währungssystem nicht verstehen. In Haiti gilt kein dezimales Währungssystem, wie ( fast ) überall auf der Welt. Ihr Kopfrechnen wird auf die Probe gestellt. Sie müssen sich damit abfinden, dass ein $ (Haiti-Dollar)  eben fünf Gourdes und nicht zehn umfasst. Es gibt auch weder Münzen noch Noten in „Dola“. Es gibt noch kleinere Stückelungen; die kann man vergessen, da man damit ohnehin nichts kaufen kann.

Bei mir sieht gegenwärtig (August 2009) die Kopfrechenlandschaft folgendermaßen aus, aus einleuchtenden Gründen ein rundes Beispiel: Ich wechsle 100 USD, mal 8, und erhalte 800 HD (Haiti-Dollar; man sagt aber nur Dollar, für Laien große Verwechslungsgefahr mit USD). Was die da auszahlen, meist in gemischten zerknüllten Tickets, sind ( 800×5 ) 4000 Gourdes, denn HD-Noten gibt es nicht. Um den Vergleich mit meiner gewohnten Schweizer Währung zu schaffen, rechne ich nochmals:5, ergibt schließlich 160 SF. Geschafft, alles klar? Also ratsam, nur auf einer echten Bank (nicht Spielbank, das Kasino,) zu wechseln.

Wie manchenorts auf der Welt, wird das $-Zeichen nicht nur für USD gebraucht, sondern meint schlichtweg die gängige Lokalwährung. ZB. in Neuseeland, Kanada oder In der Dominikanischen Republik sind die Preise mit $ angeschrieben, bedeuten aber jedesmal etwas anderes, diesmal Pesos. In Haiti sind die Preise meist ebenfalls mit $ angeschrieben, bedeuten hier aber HD (Haiti-Dollars) und wiegen damit ein Mehrfaches der $ in der Dominikanischen Republik.

Naivlinge, Touristen, Blauhelme, Missionshelfer & More sind meist schlecht vorbereitet und wissen das nicht. Sie verstehen alles was mit $ oder „Dola“ angeschrieben ist oder nach Dollar tönt oder riecht, als USD und überzahlen Waren und Leistungen maßlos. Kein Wunder, dass man von „unbezahlbaren Preisen“ spricht. Kein Wunder, dass das die cleveren einheimischen Geldmacher umsetzen und oft und frech US-Money reklamieren, wenn zerknüllte Haiti-Noten gemeint sind.

Die Haïtianer sind ein Spielvolk. Irgendwie müssen sie ja Geld machen zum Überleben, in einem Land, wo es keines gibt, und auch keine Arbeit gibt. Jahrelang hatte ich einen Inverter der regelmäßig ausfiel und vom „Elektriker“ in die Stadt zum „Inverterologen“ gebracht werden musste. Die Rechnung erreichte jedesmal wohl 100 $ (diesmal US). Einmal kam der Bescheid, die Eingeweide seien verbrannt und ich müsse einen neuen Inverter kaufen, für ein Mehrfaches. Ich schickte den „Elektriker“ dorthin, wo man wirklich verbrennt und kaufte eine Gebrauchtware, die heute noch funzt, nach wohl 10 Jahren, und ohne jede Störung.

Der „Elektriker“ stand schon unter Beobachtung, seitdem einmal nach seinem Besuch alle Zubringerkabel zum Haus durchschnitten waren. Ähnliches war Langezeit beim Auto zu beobachten. Man ist arbeitslos, so schafft man sich eben Arbeit – immer wieder die gleiche. Man ist mittellos, so kassiert man eben wo man kann, zum Beispiel auf der Straße. Und darin ist man erfinderisch.

Ich sage dem „Kasino auf der Straße“, mit zwei „s“ wie „Kassieren“. Und meine damit nicht die kleinen, mit „Banque“ angeschriebenen Spielschuppen, die „echten“ Kasinos. Zum Beispiel die „Arbeiter“, die mit Schaufeln und Kieshaufen an der Piste stehen und die immer gleichen Straßen löcher zuschaufeln und nachts wieder öffnen – und mit offenem Hut fürs Kassieren. Ich kenne Löcher die seit 20 Jahren geöffnet und geschlossen werden.

Oder Schachtdeckel die gestohlen werden. Die offenen Regenwasserschächte sind besonders bei Nacht und unter Wasser gefährliche Fallen, in die immer wieder Autos abstürzen. Natürlich stehen seitlich bereits die Entspannung-Equipen bereit, die nur auf die nächsten Opfer warten. Ebenfalls seit 20 Jahren, immer wieder die gleichen Fallen. Natürlich meide ich solche Straßen, mit der Zeit kennt man sie ja.

In Haiti ist alles anders. Sogar die Zeit. Haitianische Zeit, Weltzeit und jahreszeitliche Zeitverschiebung nicht anerkannt. Sie müssen gewärtigen, dass das zum Abflug vorgesehene Flugzeug bei Ihrer Ankunft auf dem Flugplatz bereits verduftet ist. Nach der echten Zeit können Sie sich schwerlich erkundigen, und den Stolz auf Ihre Schweizer Armbanduhr können Sie vergessen. Denn weder Flugpläne noch Schweizer Armbanduhren berücksichtigen, dass Haiti die internationalen Zeitregeln so wenig befolgt wie die des Papstes. Besonders kompliziert wird es, wenn Sie von der Nachbarrepublik Dominikanische Republik einreisen, denn die anerkennen Sommer- und Winterzeit, haben aber trotz „gleicher“ Lage eine Stunde Zeitverschiebung. Nicht einmal der Papst weiß warum. Wie sollte der auch.

Doch vergessen Sie nie: auch meine Artikel konzentrieren sich stets auf ein Thema – man darf nie verallgemeinern. Haiti ist eine Lehre fürs Leben. Fürs Leben hat man nie ausgelernt. Und jede Lehre kostet auch Lehrgeld. Die Frage muss vielmehr lauten: Wie viel darf das Lehrgeld kosten ?

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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