Unten in Milot klettert man, oder, das hängt vom Zustand ab, schwingt man sich in den Sattel, zu meinen übergroßen Schuhen passende Steigbügel habe ich ja noch in der Schweiz gekauft, sie kommen endlich zum Einsatz. Auch die „Sättel“ sind besser gepolstert als noch vor 20 Jahren. Damals waren sie aus ein paar rohen Brettern zusammengenagelt, und mehr oder weniger mit Decken gepolstert. Die Pferderücken taten mir leid, und auch ich erinnere mich ungern der Schrunden und Blasen auf meinem Pöchen…
Die Mulis stapfen zügig aufwärts, schneller als ihnen einheimische Fußgänger zu folgen vermögen. Manchmal geht es an einer einsamen Bauernhütte vorbei, einfache, strohgedeckte Einraumhütten ohne fließendes Wasser, Möbel und Schnickschnack ( das „Stroh“ hat zwar einen anderen Namen und stammt auch von anderen Pflanzen ). Am Boden sitzt und schläft sich immer noch am besten, wenn man nicht überkultiviert ist, wie ich es scheinbar bin, das zeigt sich immer wieder.
Auf halbem Weg gönnen die Führer Rossen und Mannen eine wohlverdiente Pause. Eine kristallklare Quelle und eine naturgegebene, saftgrüne Rasenmatte laden ein zu allem was noch fehlt, und alle sind zufrieden. Das sieht man vor allem daran, wenn die Menschen auch noch zu singen, und die Muli zu wiehern beginnen (die Vögel flöten ja ohnehin schon). Aber alle Muße hat einmal ein Ende, was folgt muss ja nicht unbedingt Stress sein.
An der steilen „Bergstraße“ zeigen sich die Kinder und bieten irgendetwas feil, um vielleicht zu ein paar Gourdes zu kommen – ist ja auch die einzige „Verdienstmöglichkeit“ hier, sie trommeln eine Weise – die wohl nur sie verstehen -, oder blasen auf Muschel- oder Bambus-Flöten ein Lied, das tönt so herrlich, besonders wenn es sich mit dem Geflöte tropischer Vögel mischt. Oder es geht an einer Madame Sarah vorbei (so nennt man die Verkäuferinnen), die eine Kokosnuss, ein paar Mangos oder Bananen feilbieten wollen, früher waren das noch Gastgeschenke. Doch in den letzten Jahrzehnten hat sich doch einiger Tourismus entwickelt, und von Cap Haïtien aus.
So ist es auch nicht erstaunlich, dass sich auch hier die neue Weltsprache breit macht. „Good Morning“ aus fast jedem Kindermund zeigt ja, dass man freundlich gesinnt ist, Freude an einem Geschenklein hätte, modern ist und Englisch kann.
Schließlich sind wir 1000 Meter höher, vor uns erscheint der Berggipfel „Bonnet L’Evegue“, was kreolisch ist und in Anspielung auf Gipfelform und vielleicht auch –Farbe „Bischofshut“ bedeutet. Auch dieser „Galero“ ist ebenso grün wie der Hut des Erzbischofs unten in Cap-Haïtien. Dass sich der Negerkönig Henri Christoph nicht gerade durch bescheidene Ideen hervortat, haben wir in Sans-Souci-Milot schon erfahren. Fehlte nur noch, dass der Herrscher die Mütze des Erzbischofs noch durch den Bau einer monströsen Festung entweihte.
Er nannte sie „Laferrière“, heute sagt man meist nur noch „Zitadelle“. Der Bau dauerte von 1805 bis 1820, und erfolgte durch mehr als 20 000 Haitianer und Sklaven. in aller Eile, denn man wollte einer vorgesehenen Rückeroberung Haitis durch Napoleon und die Franzosen zuvorkommen. Und das gelang, der erwartete Angriff fand nie statt.
Zu Fuß erklettern wir die letzten Meter, die Maultiere haben schon ihre Grünzonen im Burggelände entdeckt und tun sich dort gütlich. Schon in der Vorburg fallen die titanischen Munitionslager auf, tausende von Eisenkugeln sind auf den Munitionsterrassen gestapelt. Das ebenfalls gigantische Pulverdepot befindet sich jedoch im trockenen Innern der Burg; es sei jedoch trotzdem einmal zu einer enormen Explosion gekommen. Infolge einer unvorsichtigen Raucherin. Die habe aber Kopf und Glieder verloren, das Depot wurde wieder aufgebaut.
Der Tiefblick über die auf Zwischenterrassen befindlichen Kanonenlager und weiter auf das Ende des in den letzten Stunden bewältigten Aufstiegspfads hinunter ist schon fast schwindelerregend, und die imposanten Mauern rund um die Burg scheinen immer höher zu werden.
Dann endlich sind wir vor dem Burgtor, das über eine Brücke erreichbar ist, die einmal eine Zugbrücke war. Die nachfolgende Mauer ist so dick, dass sie in einem dunklen Tunnel durchschritten werden muss. Über den Köpfen flitzen lautlos Fledermäuse ein und aus; für sie sind die dicksten Mauern kein Hindernis.
Laferrière war mit 365 Kanonen ausgestattet, jede für einen Tag. Kanonen gegen Frankreich. Frankreich, das Haiti ausgebeutet und zerstört hat. Das heute eigentlich meistverantwortlich wäre. Aber an etwas mussten sie ja reich werden, die Ausbeuter. Die Nationen. Die Adligen. Und die Übrigen die reich sind.
Ausgeklügelte Regenwasser-Sammelsysteme sind geschickt in die dicken Mauern eingebaut. In deren Innerem große Zisternen das Wasser sammeln. Trinkwasser für das ganze Jahr, bis es wieder regnet – mit Bestimmtheit. Genügend Wasser für immer, und erst noch gekühlt. Denn ausgeklügelte Kühlsysteme sorgen für stets eiskaltes Wasser. Und dies mittels Nutzung der Naturgesetze, ohne Strom und Umweltkill. Fehlen nur noch Solaranlagen. Aber Strom brauchte man ja gar keinen, es war in der riesigen Burg auch im Hochsommer angenehm windig und kühl, auch ohne Klimaanlagen.
Auch Bäckereien, Lebensmittelgeschäfte und -Vorräte gab es genug. Aushungern war keine Lösung. Nie wäre man im Notfall auf Fledermäuse und Ratten angewiesen. Henris Verpflegungstruppen verfügten über Truppenküchen und Vorräte, die durch Geheimtunnels aus Vorburgen bedient werden konnten. So versichern die Festungsführer wenigstens. Man spricht von Geheimtunnels bis nach Sand-Souci hinunter. Aber über die geheimsten Tipps spricht man nicht.
Die Hauptfestung erstreckte sich über eine Fläche von 10’000 m2, die außenstehenden Vorposten und Nebengebäude nicht mitgerechnet. Die Festung ist von Steinblöcken errichtet, liegt direkt auf dem Felsen verbunden. Das Bindemittel war eine Mischung aus Schlamm, Melasse und Blut von Kühen und Ziegen, nach einigen Aussagen auch von Menschen. Die Mauern erreichen eine Höhe von bis zu 40 m.
Henri Christophe war ein echter „Self-made man“. Nach Art „Vom Tellerwäscher zum Millionär“. Nicht nur sein sagenhafter sozialer Aufstieg war Self-made, Self-made war auch sein Titel, denn er ernannte sich selbst zum „König Henri I“. Self-made war sogar sein Tod, denn solche Typen reagieren schlecht auf Misserfolge. Nach seinen ersten Missgeschicken ( rebellierende Mitarbeiter ) erschoss er sich selbst. Mit einer Self-made Silberkugel. Self-made von A – Z Auf testamentarischen Wunsch begrub man ihn an einem geheimen Ort in der Zitadelle, die Leiche wurde nie mehr gefunden.
Lafferière, Sans-Souci-Milot und die Vorburg Ramières stehen unter Schutz der UNESCO. Laferrière ist die attraktivste Sehenswürdigkeit in Haiti. Die meisten Gebäude sind für die Öffentlichkeit zugänglich. Patrioten sind allerdings erzürnt, dass Mitglieder der Regierung angeblich bestimmte Räume für Veranstaltungen und sogar Privatanlässe missbrauchen. Laferrière wird auch als das „Achte Weltwunder“ bezeichnet und hat sich zum großen Glück als stark genug erwiesen, um dem jüngsten Erdbeben zu widerstehen. Sie ist „die Perle der Perle“, wurde Haiti doch einst als „Perle der Antillen“ bezeichnet. Und wird das wohl wieder werden.
Haiti, das sich die Karibikinsel Hispaniola mit der Dominikanischen Republik teilt, hat den Bruch mit dem kolonialen System durch die Gründung der ersten Negerrepublik fertig gebracht. Die haitianische und die nordamerikanische Revolution sind die zwei ältesten Revolutionen des amerikanischen Kontinents, 1804 und 1776 die Geburtsdaten der zwei ältesten Republiken des amerikanischen Kontinents. Während damit aber Haiti die Sklaverei – wenigstens offiziell – abgeschafft hat, hat dies die USA noch lange nicht fertig gebracht.