Mein Haiti: Ich wohne im Terrarium

Gecko

Datum: 08. Oktober 2010
Uhrzeit: 15:50 Uhr
Leserecho: 1 Kommentar
Autor: Otto Hegnauer
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

Vielleicht erinnern Sie sich an meine drei Zimmergenossen auf dem Türmchen von früher, hier in der Bergburg habe ich sogar deren vier. Und ich fühle mich wohl unter ihnen. Ich hoffe, dass es noch mehr werden. Sie haben sich gut an mich gewöhnt und sind weniger scheu als ihre Kollegen in Gressier, sie scheinen mit der Zeit sogar handzahm zu werden. Nur wenn sie mir eines Tages gar aus der Hand fressen wollen, bringen sie mich in Verlegenheit. Ich möchte nämlich ihr garstiges Futter lieber nicht berühren… Und da soll es Menschen geben, die auch solches Zeug fr.. – pardon, essen. Müssen das garstige Kerle sein!

Geckos gibt es also seit 50 Millionen Jahren. Sie sind Meister der Adhäsion und können durch ihre mit Billionen von Mikrohärchen besetzten Haftfüßchen kopfüber an Scheiben tanzen. Die Haftkraft von vier Geckofüßchen reicht aus, um 140 Kilogramm zu halten! Als Meister der Physik haben einige sogar den Segelflug erblickt.

Da ich mich in den letzten Tagen etwas mit Rappen befasste, Sie wissen das und wissen auch warum, sind mir die Tierchen besonders sympathisch: ich weiß jetzt, dass sie nicht nur elegant an der Decke umher spazieren und trippeln, sondern sogar rappen und hip-hoppen können. Man müsste wohl besser jerken sagen, da diese Begriffe eher für Gesang als für Bewegung vorgesehen sind, und Geckos singen selten. Aber Sie wissen ja, wie ich Sprache verstehe und ( nach Lust ) verdrehe.

Sie wissen auch, als eifrige Leser, dass Geckofüße besonders sauber bleiben müssen. Eigentlich müssten sie regelmäßig einen Schuh- und Fussputzer wie hier üblich besuchen, aber stattdessen verfügen sie über eine Schuhputzmaschine, einen biologischen Selbstreinigungsapparat. Kein Stäubchen bleibt kleben, gleichgültig wie fein es ist. Die Tiere stapfen sauberen Fußes unter der Decke umher. Ihre Fußbehaarung ist ein selbstreinigendes Haftmittel.

Die kauzigen Physiker können minutenlang wie angeklebt an der Decke hängen, scheinbar ohne sich um die umherflatternden Falter und andern Flitzer zu scheren. Aber sie beobachten äußerst genau, lassen Insekten herankommen und schwupp, mit einem blitzartigen Vorschnellen haben sie sie im Maul und kauen scheinbar lange vergnügt, das Vergnügen sieht man ihnen doch an!

Oder sie schleichen sich äußerst behutsam an ein Opfer, ein Pfötchen nach dem andern vorwärts schiebend, und dabei näher und näher pirschend, und schwupp – schon wieder das blitzschnelle Vorschnellen des Kopfes, und nur noch Ränder der Falterflügel schauen aus dem Maul der genüsslich kauenden Echse. Das kann dann schon seine Minuten dauern.

Einmal hat ein Reptil vor dem Angriff mit dem lang ausgestreckten Schwanz gebebt dass er zitterte, vom Zielinsekt nicht wahrgenommen, da hinter dem regungslosen Rumpf versteckt. Ich aber liege unten auf dem Bett, und die ganze Gecko-Welt hängt vor meinen Augen ausgebreitet und zittert mir etwas vor. Was dieses Zittern bedeutet, das habe ich allerdings noch nicht rausgefunden. Ob das Erregung ausdrückt, Kommunikation bedeutet oder gar ein Insekt anlocken soll, wie ein Fischer mit seinem Köder den Fisch. Aber – Erklärbares verliert seinen Reiz.

Die possierlichen Kerlchen rennen auch laufenden und sogar fliegenden Insekten nach, manchmal über die ganze Decke, wand auf und wand ab, und dies mit Erfolg! Vieles was ich in meinen Gecko-Beobachtungen in Gressier geschildert habe, trifft in der Bergburg wieder zu. Anderes hat sich nicht mehr ereignet. Zum Beispiel habe ich hier noch keine Abstürze beobachtet, und bisher sind mir noch keine über Tastaturen und Bildschirm spaziert.

Durch den tragischen Hauseinsturz in Gressier habe ich zwar meine dortigen Tiere und anderes verloren, aber wenigstens Geckos sind neue aufgetaucht, und ich fühle mich wieder in einem Terrarium, wie ich es in meiner Jugend liebte. Ich muss zugeben, dass ich mich so an die neckischen Zimmergenossen gewöhnt habe, dass sie mir fehlen, wenn sie eines Abends mal nicht auftauchen. Ich bin fast abergläubisch und hoffe, dass sie nur nicht wieder ein Erdbeben vorausspüren, habe ich doch gelesen, dass Schlangen vor solchen Beben von ihren Ruheplätzen verschwinden sollen.

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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  1. 1
    Chris

    Interresanter Beitrag ! Vielen Dank !

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