Gestern spielte die Natur verrückt, das wundert uns nicht mehr. Aber dass es hier, mitten im tropischen Haiti, Nebel gibt, der kalt aufstößt und umherschleicht wie ein verirrtes Gespenst, das scheint mir doch eher unheimlich. Seinerzeit auf dem Ruwenzori, mit den fünfzehn Meter hohen Blumen und den fünf Meter langen Moosen, da habe ich das noch in Kauf genommen, der war ja auch um ein paar tausend Meter höher als hier. Es ist auch „kalt“, fast wie in der Schweiz, scheint mir, tropisch kalt, ganz ungewohnt für hier – ich rufe nach einem langärmeligen Pullover. Man wird verweichlicht.
Übrigens ein Stimmungsbild, das habe ich verpasst, war schon zu dunkel. Ich könnte ja ebenso gut eine graue Suppe fotografieren, oder eine Betonmauer, und sagen, das sei der Nebel. Aber das wäre schäbig, meine Leser auf die Schippe zu nehmen. Doch heute, einen Tag später, spielt mir der Wettergott ein anderes Föteli zu, denn das ist auch wieder ungewohnt, ein so deutlicher Layer, sagte man bei den Fliegern. Eine schwarze Wolkendecke sauber getrennt über einer klaren, sonnigen Bodenschicht.
Was ist denn auch los mit der Natur allgemein, und bei den Wetterfröschen im Besonderen? Sind das wirklich die berüchtigten Treibgase, die alles durcheinander bringen? Der Mensch ist mit einer Erklärung immer rasch bereit, hier in Haiti, dem Nachbarstaat der Dominikanischen Republik, und überall. Besonders wenn es einmal anders läuft als jeden Tag. Das muss ja Gründe haben. Klar, es ist der Klimawechsel, das Gletscherschmelzen und das Meeressteigen. So klar wie die Amerikaner mit ihrer Geheimwaffe SARP Erdbeben erzeugen und verantwortlich sind für den Tod von 300’000 Haitianern, und den Verlust von Millionen von Häusern.
Und gleich beginnt es noch zu regnen, schüttet fünf Minuten, verkneift sich wieder. Minuten später ist der Himmel schon wolkenfrei, aber er blitzt, ohne Donner. Die Teufel spielen, sie nehmen uns hoch. Und unten singen und tanzen und beten die Menschen wieder. Und im Haus eines Bourgeois drüben an der Route de Montagne Noire kreischen die Gespenster um die Wette. Der Bourgeois ist ausgezogen.
Auch die Klugscheisser sind gegen Dummheit nicht gefeit. Jedes unnatürliche Geräusch hat eine natürliche Erklärung. Vielleicht haben sich ja meine geliebten Schleiereulen in die Schwarzen Berge verirrt wie ich, aber im Gegensatz zu mir, kreischen die halt wie das menschliche Kinder tun. Oder klassische, haitianisch knarrende Holzdachböden werden zu Kegelbahnen der Marder – ich „hatte“ solche als mein Haus noch stand – oder Siebenschläfer. Wenn aber gar Kokosnüsse zu Kegelkugeln werden, dann werden selbst Sprücheklopfer und Politiker zu Angsthasen und überlassen das Feld den Gespenstern.
Da kann ich mir eine Rückerinnerung nicht verkneifen. In den Schweizer Bergen hatte ich ein Häuschen, nahe den Gletschern. Da lernte ich einmal ein Gespenst kennen, ein Brockengespenst. Die offene Tür gähnte in die Nacht hinaus, der Nebel war dicht. Im tiefen Innern des umgebauten Heustalls brannte ein Licht. Es projizierte mein Schattenbild auf den Nebel, der als Filmwand wirkte. Ich wurde zu einem ungeheuren Brockengespenst am Himmel.
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