Haiti: Schwarze Haut und Weisser Sand – Schere zwischen Arm und Reich

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Datum: 24. November 2010
Uhrzeit: 13:35 Uhr
Leserecho: 6 Kommentare
Autor: Otto Hegnauer
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

Die Werte der heutigen Feriengesellschaft sind weißer Sand und schwarze Haut. Weißer, mehlweicher Sand- der muss entsprechend gepflegt werden, frühmorgens jeden Tag wenn die Feriengäste noch schlafen. Er muss barfuß wie Watte zu begehbar sein, am liebsten zu stundenlangen Spaziergängen einladen. Nach ausgiebigem Frühstück, mit allem, was das Herz begehrt à Gogo, watschelt man anschließend zum Sonnenbad. Dazu liegt man dann im Sand und lässt sich rösten.

Weißer Sand und Schwarze Haut sind die Werte für die Touristen. Ebenso wichtig ist auch Essen und Trinken, man hat ja zuhause nicht genug davon. Und da die Ferienbuchung ein pauschales Clubangebot umfasst, „alles“ inbegriffen, muss man das ausnützen und so viel wie möglich reinstopfen in die Organe, am besten auf Vorrat, wenn das ginge bis zu den nächsten Ferien, oder mindestens bis zum Besuch des Arztes oder einer Abmagerungsklinik. In vielen Clubs gilt der Pauschalpreis nur für alkoholfreie Drinks, oder Alkoholisches ist beschränkt, auf eine bestimmte Anzahl Gütterli pro Tag. Zur besseren Kontrolle werden die Feriengäste beringt wie Geflügel, durch einen Plastikbändel am Handgelenk, mit Farbbedeutung je nach Tag oder Arrangement.

Linienbewusste lassen das aus und bleiben wie Fliegen regungslos ausgestreckt im weißen Sand liegen, wo besonders die Damen eine möglichst dunkle Hautfarbe begehren und dem Hautkrebs frönen. Die Herren bewundern die schwarzen Sexy-Girls, die sich im Ferienparadies zur Schau, und hoffentlich auch für Weiteres zur Verfügung stellen. Vielleicht liegt ein Flirt drin, vielleicht auch mehr – alles Weitere hängt von Geschick und Verhalten, und besonders vom Geldbeutel ab. Mit ihren Naturlinien kontrastieren sie wirklich zu den hellhäutigen, vollgepumpten Damen aus nordischen Landen, Schlankheit ist ja der einzige Vorteil des Hungerlebens, das sie hier führen müssen.

Im Laufe des Vormittags verschieben sich die meisten aufs Strandparkett, an eines oder mehrere Morgenbuffets, wo Kleingebäck und andere Naschereien angeboten werden, mit knallig bunten Jues oder Cocktails. Aug und Ohr werden verwöhnt von karibischen Bands, es gibt zu viele Stile hier, die einem gleich in Knochen und Beine fahren. Und schon heult eine Sirene, es ist Mittag.

Mittags ist ja klar, da will niemand aufs Essen verzichten. Man hat es ja pauschal bezahlt, da muss man profitieren. Mittagessen ist man sich bei uns gewöhnt, von Kind an, das ist Kultur. Sieben Restaurants laden zum Fressplausch ein, teils mit Spezialitäten, aber alle mit besonderem Flair. Riesige Salat- und andere Buffets bieten alles, was sich das Schlemmerherz vorstellen kann, ja, auch Schlemmerer haben ein Herz. Nur haben viele das noch nicht entdeckt. Oder man findet es gar nicht mehr hinter dem Fett. Vorspeise, Hauptgänge gleich ein paar probieren, und Dessert – man geht mehrmals zum Nachfassen, und das Meiste bleibt im Teller und wird entsorgt. Hie und da beobachtet man sogar Sammlernaturen mit Plastiktüten, die nehmen auch noch gleich Notvorräte aufs Zimmer mit, man weiß ja nie. Und nachher wieder auf dem Strandparkett vor den verschiedenen Ständen und Bars, mit passender Musik und Girls.

Die Fabrikküche ist aufs modernste eingerichtet, vor allem für die Entsorgung. Weil man das besser nicht sehen soll, sind die Lieferanten-Ein- und Ausgänge hinter hohen Pflanzen- und Betonmauern versteckt. Die Verlade-Vorrichtungen halten jedem Vergleich mit solchen in europäischen Superzentren stand, und die keineswegs vorsortierten Abfälle wandern gleich über Rutschen, Förderbänder und Rollcontainer ins Meer oder, wenn’s hoch kommt, in die Kehrichtwagen. Wenn Sie glauben, die führen zu einem Recycling oder zur Wiederverwertung, dann haben Sie sich getäuscht. Ich habe vergessen, wie viel Tonnen Nahrungsabfälle jeden Tag ins Feuer geführt werden. An kleinen Dörfchen vorbei, in denen noch Kinder verhungern.

Wieder zurück auf die schönere Seite, die Innenseite der Mauern. Vollgefressene Touristen wackeln zu einem Mittagsschlaf, andere wieder in den Sand, und wenn’s gut geht, auch einmal kurz ins Wasser. Denn niemand will den Nachmittags-Imbiss verpassen, mit Cocktails und Naschereien, vor allem aber mit volksnahen Darbietungen, und viel Haut. Man hat ja eine Pauschale bezahlt, und man will davon möglichst viel profitieren. Es gibt auch ein Veranstaltungsprogramm, mit Ausritten und Exkursionen, in der Pauschale nicht inbegriffen. Also auch kaum benützt, man könnte ja etwas Inbegriffenes verpassen.

Die Zeit reicht nicht einmal zum Einschlafen, denn um vier Uhr öffnen die Nasch-Stände wieder, mit den bunten Drinks, den bunten Farben, den bunten Tönen, und bunten Tänzen, von bunten Mädchen, in bunten Röckchen, auch bunt. Die bunten Tänze dazu werden von einer Folkloregruppe aus der Gegend präsentiert, angeblich. Wenigstens werden die Kinder einbezogen, wenigstens haben die keinen Stress. Aber die „Kultur“, die sie hier lernen, wird dadurch nicht besser. So lang wie breit, ihnen genügt, wenn es bunt ist und dröhnt.

Zum Abendessen öffnen NOCH zwei Restaurants mehr, Abwechslung muss sein. Vor lauter Schlange stehen vor den Buffets bleibt zum Schwatz keine Zeit. Und die Fabrik zählt Tausende von Touristen. Essen und Trinken liegt schon kaum mehr drin, sie haben ja den ganzen Tag nichts anderes getan. Im großen Pavillon daneben hat schon die Abendunterhaltung begonnen, eine bekannte Stimmungskanone beglückt die Gesellschaft. Auch das muss man heute, um die Millionen von Obdachlosen ein paar Kilometer weiter vergessen zu können.

Das war es, was Ihnen in der Dominikanischen Republik passieren kann. In der haitianischen ist es noch krasser, besonders seit dem Beben. Da werden Sie gar nicht zum Gespräch mit den Einheimischen zugelassen, das wäre angeblich zu gefährlich, oder gleich durch Blauhelme oder doppelte Mauern abgeschottet. So kommen Sie ganz sicher mit dem Leben davon, und Sie müssen die Schuttberge und Zeltstädte nicht sehen. Man muss von allem den Vorteil entdecken. Der besteht immer, unzweifelhaft. In der Dominikanischen Ferienfabrik besteht er darin, dass man ausnahmsweise Fernsehen und Fussballmatch vergessen hat. Drüben in Haiti hat man gar keinen Strom dazu.

In Haïti im Wiederaufbau haben Sie gelesen, dass in fünf Jahren 6 neue Flughäfen und 8 neue Meereshäfen bestehen werden. Damit schafft man wirtschaftlichen Aufschwung und Entwicklung. Dann könnte es etwa so aussehen wie drüben. Ich fürchte nur, mit zunehmender Entwicklung öffne sich auch die große Schere immer mehr, die Schere zwischen arm und reich. Die Armen werden noch ärmer und die Reichen noch reicher. Was ist denn zu tun, um eine Entwicklung ohne diesen Nebeneffekt zu erreichen?

Gesucht: Entwicklung ohne Schere zwischen Arm und Reich. (Übrigens: das Modell zu dieser Geschichte liegt in Bayahibe).

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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  1. 1
    Chris

    Gut , allerdings habe ich den Sinn der Geschichte nun nicht ganz verstanden .. hier werden leute wegen ihres Geldbeutels angeprangert ? Oder weil sie übergewichtig sind ? Oder geht es darum das die einen Urlaub bezahlt haben und auch ausleben wollen ? Oder wáre es besser wenn diese Leute auf andere Regionen ausweichen , ich dachte das die Dom. Republik vom Tourismus abhängig ist . Wenn die daraus resultierenden Einnahmen nicht oder nur teilweise versteuert werden , und diese Steuern dann fúr andere Zwecke verschalmmt werden sollte wohl weniger die Schuld der Touristen als doch der einheimischen Verwaltung sein

  2. 2
    albert einstein

    ich kann michg dem chris nur anschliessen. es ist doch fraglich, dass es immer wieder typen gibt, die solchen stuss schreiben und auch noch glauben was sie verbreiten. ich lebe selber in so einem land, was ich nach vielen jahre habe erkennen müssen ist, dass die einheimischen eigentlich ganz zufreiden mit ihrem leben sind. ok.ok. sie würden schon auch gerne geld kreditkarten und haus mit auto und personal haben….. aber dasselbe leisten wie man in europa leisten muss dafür, sind sie nicht bereit. erfahrungsgemäss arbeiten die einheimischen gerade soviel, um ihren nächsten wunsch erfüllen zu können, der der erfüllt ist, nimmt man es wieder wie vorher. die haben eine andere lebenseinstellung als europäer, aber auch eine gemütlichere. wenn einer das doppelt an lohn bekommt wie vorher, gehts nicht lange und er arbeitet nur noch die halte zeit…. und das ist so ob man es wahrhaben will oder nicht. also hört auf entwiklungshilfe spielen zu wollen, braqucht euer geld dort wo ihr wollt und schämt euch nicht dafür, denn es gibt keinen grund, wenn dem fleissigen das glück winkt.

    • 2.1
      Chris

      Sprichst mir aus der Seele . Habe selber 5 Angestellte gehabt , durfte mich jeden Tag mit dieser Lebenseinstellung auseinander setzen.
      Die arbeiten um zu leben , wir leben um zu arbeiten . Wir verstehen die nicht , die verstehen uns noch weniger. Habe erlebt wie LKW Lebensmittel in den Norden zu den Toba gebracht haben weil die dort schon an Unterernáhrung litten . Als es ans entladen ging sassen die alle unter einem Baum und schauten ruhig zu wie der Kraftfahrer allein die fast 15 Tonnen abladen musste . Und das ist die Realität , alles andere ist nur Theorie oder gequatsche von Aussenstehenden

  3. 3
    BennoStumpf

    ein wenig dementsprechendes verhalten von touristen sollte schon vorhanden sein.na ja mit dem zufrieden der einheimischen, es ist eher mehr so gewohnheit.die domminikanische republik habe ich zweimal bereist, und es war echt abenteuer,,die einheimischen haben mich voll miteinbezogen,ich habe probleme mit bekommen und das gehoert dazu.ich bin sogar ausgeraubt worden, und durfte mir mal auf samana ein gefängnis näher anschauen.für wenig pesos haben sie mir dann aber wieder auch ein zimmer vermietet privat.nein das land o. die insel ist viel zu schön und die menschen so interessant um in so einem beschriebenen all inklusive ghetto zu vergammeln.

  4. 4
    BennoStumpf

    übrigens finde ich die kolumne von herrn hagenauer sehr interessant.er lebt seit jahren auf der insel und ist intregriert, und ich kann mir gut vorstellen das ihm diese art von massentourismus auf die nerven geht.

  5. 5
    Chris

    Klar , wer geht schon auf eine Insel um sich dann von Touristen nerven zulassen …andererseits: wenn den Urlaubern diese Art von Tourismus gefällt , und zwangsläufig dadurch Divisen ins Land kommen …. sollen die doch sich fette Báuche wachsen lassen.

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