Klassenabschlussfeier in Haiti

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Datum: 12. Januar 2010
Uhrzeit: 07:39 Uhr
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Autor: Otto Hegnauer
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

Eine Prozession kleiner Nymphen und Feen trippelt aus dem dunklen Hintergrund der Bergschule, wie aus einem Märchen. Keine Firmung oder Kommunionszeremonie, sondern eine „Graduation“, eine Klassenabschluss- und Beförderungsfeier, wie sie Im landesüblichen Schulsystem am Ende jeder Schulklasse gefeiert wird. Schon in der Unterstufe.

Als Gast durfte ich mehrmals an solchen Feiern teilnehmen, denn jedes Kind bringt Eltern und Gäste mit, so viel als möglich, das bringt schließlich Ansehen. Und Ansehen ist auch für Kinder wichtig. Märchenhaft herausgeputzt und kostümiert wie junge Bräute trippeln die kleinen Prinzesschen in zierlichen, synchronen Tap- und Tanzschrittchen langsam näher. Die wurden lange eingeübt, und als „Spick“ marschiert im Zug auch eine Lehrerin mit, in einem wohl gemieteten Ball- oder Hochzeitskleid.

Die Nicht-Ganz-Kleinen tragen häufig einen Doktorhut, das sieht so putzig aus. Ich hätte sowohl die Doktorhüte als auch die eher verrückten Zierschritte als Klimbim und nicht kindergerecht abgetan, bin aber wieder mal einem Vorurteil aufgesessen. Denn die Augen der vorbeistolzierenden Schönheiten sprechen eine andere Sprache. Sie leuchten und bezeugen dass die Kinder die ungewohnte Parade motiviert empfinden, aie drücken Freude und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft aus, eine ohne Hunger und Angst vor Entführern, die selbst vor Schulklassen nicht zurückschrecken.

In ganz feinen Schulen folgten gelegentliche Einlagen von besonders begabten Musikanten, Sängerinnen oder Rezitatoren – natürlich meine ich stets die weibliche UND die männliche Form (ich hasse Unwörter wie „Sänger/Innen“ etc)

An jeder Schule folgte unweigerlich die viel zu lange Rede des Direktors und manchmal sogar noch weiterer Würdenträger, die sich allesamt nicht lange genug hören konnten. Dieser Redeteil war nicht nur der gewichtigste, sondern auch der peinlichste Teil des „Schüler“ festes. Peinlich weil sich die redenden Damen und Herren nicht nur selber zu gerne hörten, sondern weil sie nicht merkten, dass sie an den uninteressierten Kindern völlig vorbeisprachen, ja so kompliziert, dass sie sogar von den meisten Eltern nicht einmal verstanden wurden. „Der langen Rede kurzer Sinn“ haben die noch nie gehört, die Direktoren „& more“.

Da steigen in mir Erinnerungen hoch, aus meiner eigenen Kinderzeit. Ich war Protestant, damals, und gehörte somit zu einer veschwindenden Minderheit in der katholischen Innerschweiz. Da gab es schreckliche Dinge, zu denen wir gezwungen wurden, und wir mussten Wörter lernen, die wir nicht verstanden. „Katechismus“ hieß da ein Buch, und auch aus den Sätzen da draus verstanden wir kein Wort. Wir mussten lernen, was wir nicht verstanden, sonst gab es Tatzen, kräftige Hiebe mit dem Lineal der Lehrerin über die Finger. Und die brannten ganz schön.

Auch das Knien auf den hölzernen Leisten der Kirchenbänke half mit, die Kirche zu einem Ort des Schreckens zu machen. Und die engen Holzbänke die sind mir heute noch zu hart in den Kirchen, so lass ich deren Besuch lieber bleiben. Auch was man von der Kanzel hörte, war oft wenig zielgruppengerecht. „Der langen Rede kurzer Sinn“ waren meine Kirchenerlebnisse so demotivierend, dass ich schließlich die Kirche verließ und seither als „Dissidenter“ lebe.

Die besten Reden in Haiti habe ich trotzdem in Kirchen gehört, wohin ich gelegentlich genötigt wurde. Hochmotivierte Geistliche und Kirchgemeinden schrien sich da gegenseitig an, schrien um die Wette. Ähnliches geschah in Theater und Konzert. Aber an Schulfeiern, da habe ich die schlechtesten Reden erleben müssen. Traurig, dass die Jugend, die ganze Zukunft, so wenig respektiert wird. Selbst am Jugendfest vergessen wird.

Nun zurück zur Graduationsfeier in Haiti, die ist unterdessen auch fertig. Jetzt treffen sich viele Eltern zum ausgiebigen Schwatz, das bringt schon mehr als das Geschwätz der Prominenten, aber für die Kinder ist es teils immer noch uninteressant. Besser ist da schon das nachfolgende Festessen, meist zuhause, wenn es sich die Familie leisten kann. Dann kommen da endlich Lieblingsspeisen auf den Tisch, wie sie die Kinder mögen. Und morgen, da ist die Motivation vorbei, da beginnt der Hunger wieder. Und ich, ich möchte mal eine Rede an Kinder erleben, die die Kinder mögen, wie ihre Lieblingsspeise!

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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