Ich sitze in meinem Türmli und äuge und lausche nach draussen, was da alles geschieht: oben die Helis, unten die Bauern, draussen die Schiffe, gerade ziehen lautlos zwei schneeweisse Segler vorüber, drinnen die Nippsachen, Andenken, Liebgewonnenes. Alles seine Geschichten wert. Wo soll ich nur anfangen ?
Das Problem ist dass ich wieder mal abgeschnitten bin von allem was über den Himmel läuft, und dies seit Tagen. Die Satellitenverbindung kommt so langsam, dass sie zusammenbricht bevor etwas geladen ist, Telefon auch nicht besser. Die Insel hat ihre Tücken.
So muss ich auf Online und WIFI verzichten und wie die Dinge heissen, und mich „local“ vergnügen, mit dem was der Computer allein hergibt, ohne Verbindung. Da drängt sich „Geschichten schreiben“ auf, Schreiben auf Vorrat. Denn seit zwei Tagen stauen sich zwei Kolumnen hier, die aufs Internet möchten – aber sie müssen hier warten bis die Himmelsleiter wieder funzt. Und darüber wissen auch die Frommen nicht Bescheid.
Mein Haus ist voll von Nippsachen, die ich bei meinem Auszug nicht recycelt habe, vor etwa zwanzig Jahren. Und mein Kopf voll von Erlebnissen, die mit den Nippsachen zusammenhängen. Also warum lange suchen ? Direkt vor meiner Nase liegen ja gerade ihrer drei: zwei alte Bücher und darauf stehend ein kleines Kreuz.
Zuunterst liegt ein Buch von Oswald Heer, „Die Urwelt der Schweiz“, von 1865. Oswald Heer war ein berühmter Schweizer Paläontologe, Botaniker und Entomologe: er war Direktor des Botanischen Gartens in Zürich. Meine Faszination beginnt schon aussen mit dem Lederrücken und setzt sich innen fort mit den zahlreichen Stichen von den urzeitlichen Landschaften, den unzähligen Skizzen urweltlicher Tiere und Pflanzen und den respektvollen Schilderungen der damaligen Natur
Der Band war schon der bibliophile Stolz meines Vaters und stand zu seinen Lebzeiten zwischen ähnlichen Schmuckstücken in seinem Bücherschrank, während meiner ganzen Jugend von mir bewundert, und hat schliesslich den Weg nach Haïti gefunden. Da er fast auseinanderfällt vor Altersschwäche, getraue ich kaum mehr ihn zu öffnen umdie Kostbarkeiten genauer zu bewundern. Welche Welten zwischen dem mit Farben und Gold verzierten Lederband und den billigen PDF-Büchern von heute !
Darüber liegt ein Buch von Pascal Paoli, Fähnrich der korsischen Garde des Königs von Neapel, vertrieb die Genueser von der Insel und kämpfte für das Ziel einer geeinten korsischen Nation. Sein Buch „Etat de la Corse“, von 1769, besteht aus handgeschöpftem Papier, der offensichtlich einst vorhandene Ledereinband wurde von Wandalen weggerissen, sodass das verletzliche Ding nackt vor mir liegt.
Ich habe das Stück in meiner Studentenzeit auf dem Pariser Flohmarkt gekauft, auf der inneren Umschlagseite steht noch mit Bleistift der damalige Preis: 3 ffr., das war etwa ein Rappen in Schweizergeld.
Das Requisit muss man in Griff nehmen wie das Eilein eines Kolibris, wenn es nicht auseinanderfallen soll. Und auch dieses Erinnerungsstück lässt die ganzen Abenteuer im damaligen Flohmarkt von Paris wieder aufleben.
Zum Glück konnten diese beiden Bücher nicht nur hunderte von Jahren ihres Bestehens, sondern vor allem die ersten 20 Jahre in Haïti überstehen. Dies ist nicht selbstverständlich, denn zahllose Bücherschmuckstücke wurden ein Raub der gefrässigen“Poud-Bwa“, der Termiten. Die sind noch schlimmer als die Wandalen.
Wie es sich gehört, steht zuoberst das Kreuz, ein ganz besonderes Schatzstück. Meine erste Stelle, damals als Primarlehrer, fand ich in der Aargauer Gemeinde Teufenthal. Dort steht die Trostburg aus dem 12. Jahrhundert. Ausgrabungen förderten auch das besagte Kreuzlein zutage. Der damalige Burgeigentümer schenkte mir den „Nonvaleur“ zur Erinnerung, und natürlich betreffen diese Erinnerungen all meine Teufenthaler Jahre.
Das Kleinod besteht aus Zinn. Im Zentrum des Kreuzes ist eine vielleicht karolingische Münze eingegossen.
Es erzählt vieles aus der Ritterzeit. Es erzählt, dass die Ritter Numismatiker waren, es erzählt , wie sie die gesammelten Münzen liebevoll präsentierten und aufbewahrten, es erzählt einiges über die damaligen Handelswege und -beziehungen, und es erzählt, wie es nach hunderten von Jahren Grabdaseins wieder auferstanden war, als religiöses Symbol oder als Schatz, bleibt eine offene Frage, und wieder zu leben begann.
Was es über sein weiteres Leben in Haïti erzählen wird, hören einst Andere, in unbekannter Zukunft.
Si Bon Die vle ( wenn Gott will )
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