Der angekündigte Tropensturm Irene ist im Anmarsch und könnte als Hurrikan hier eintreffen. Im Moment ist es noch sonnig, windstill und friedlich, sieht nicht nach Tropensturm und Verheerung aus. Aber es ist die Saison der Zerstörung. Vor genau sieben Jahren verursachte die atlantische Hurrikansaison 2004 große Überschwemmungen und Schlammlawinen in der Stadt, welche für den Tod von wahrscheinlich ca. 3.000 Menschen (1650 Tote wurden bestätigt) verantwortlich waren. Praktisch jedes Gebäude wurde durch den Sturm beschädigt, eine große Anzahl von Menschen wurden obdachlos. Am 1. September schnitt der Hurrikan Hanna Gonaives fast vollständig von der Außenwelt ab. In der Stadt gab es über 80 Tote.
Die 100.000-Seelen- und Katastrophenstadt Gonaïves kann auf eine traurige Berühmtheit zurückblicken. Der Schauplatz von Naturkatastrophen und Plünderungen, Gewalt und Morden durch Militärs und Paramilitärs hat immer wieder tausende von Toten hinterlassen. Manchmal Menschen, die sich vor den Wassermassen auf Kliffs und kleine Inseln retteten und dort vergessen wurden. Vor dem Hungertod retteten sie sich nicht. Schon vor dem grossen Erdbeben von 2010. Und von ähnlichen geschichtlichen, vor- und urgeschichtlichen Ereignissen weiss man ganz einfach nichts. Man hat sie vergessen, wie die Menschen auf den Fluchtinseln.
In Gonaïves sind die Missstände unverändert oder haben gar zugenommen. Arbeitslosigkeit, Hunger, Armut, Umweltzerstörung, Überschwemmungen, chaotisch verstopfte Strassen und soziale Unruhen sind das traurige Umfeld für den Großteil der Bevölkerung.
Mindestens zwei mittellose Landschulen hatten um etwas Geld für Lehrmaterial gebeten; das blieb aber ein Vorhaben. Denn beide Schulen lagen in der damals sehr unsicheren Gegend im Umland von Gonaïves, und ich wartete ungeduldig darauf, dass auf der Strasse keine Menschen mehr erstochen und Autos demoliert wurden … Doch ich musste nicht mehr warten, denn die erwähnte Schule lag im Rebellengebiet und wurde von diesen Unmenschen geschlossen. Wie viele andere Schulen auch.
Es wurde noch schlimmer. Die Rebellion führte zum Eingreifen der Grossmächte. Diese erzwangen die Abdankung des Präsidenten. Die Blauhelme kamen. Aber das Chaos nahm noch zu. In der Hauptstadt und Umgebung entwickelten sich bürgerkriegsähnliche Zustände. Es wurde geschossen, gemordet, geplündert, täglich. Autos wurden angezündet, es getraute sich niemand mehr auf die Strasse. Zudem fegten mindestens zwei Tornados über die Insel und hinterliessen jedesmal tausende von Toten. Schulen gab es keine mehr, oder sie konnten nicht besucht werden. Von den Kindern sprach gar niemand mehr.
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