Es war am 11.Januar 1998. Ich habe es erzählt in „Meine“ Seminarklasse Wettingen 1954 besucht mich in Haïti: Zehn Klassenkollegen, wir alle hatten damals das Lehrerpatent erworben, besuchten mich in Haiti. Heute ist es zwölf Jahre später, die „Granmouns“ (Alte, ist kreolisch) sind unterdessen bald 80jährig, etwas gstabiger (diesmal schweizerdeutsch) und ausnahmslos recht Weiß beflaumt (wohl allen verständlich. Sonst vergleichen Sie die Fotos, oben von 1954, unten von heute).
Seit der Semi-Zeit haben wir die Sitte beibehalten, dass jeder in alphabetischer Reihenfolge ein Jahr lang Klassenchef und für die Durchführung des jährlichen Treffens verantwortlich ist. Die Klassenfreunde haben beschlossen, die Gelegenheit meiner unfreiwilligen Anwesenheit in Europa zu packen, um uns außer Programm zu treffen, das ging heute in einem Badener Hotel über die Bühne. 20 Klassenkollegen – doppelt so viele wie vor zwölf Jahren – samt ihren Ehefrauen sind gekommen, das sind fast alle die noch leben. So viel Ehre habe ich gar nicht verdient, ist auch eine gigantische moralische Unterstützung, ein Aufsteller, wie wir in der Schweiz zu sagen pflegen. Scheinbar habe ich es vielleicht doch richtig gemacht, obschon ich „alles“ verloren habe, von den Freunden jedenfalls keinen. Wenn das kein Reichtum ist!
Natürlich musste ich alles wieder erzählen, noch und noch, und jedesmal überkommt es mich wieder, wenn ich versuche mich auszuquatschen, zu offenbaren. Es ist nicht leicht, Gefühle offen zu legen. Auch liebe ich Predigten nicht und zu lange schon gar nicht, aber heute ergab sich die längste Nummer die ich seit langem geboten habe.
Und doch schien sie meine Kollegen in den Bann zu ziehen, denn ihre Fragen hörten nicht auf, und so wurde ich eben auch ungewohnt lang. Darf ich ja auch nach dem kürzlichen Fernsehauftritt, wo ich mich mitten in jedem Satz unterbrochen fühlte, das Gefühl hatte, keine Frage fertig beantworten zu dürfen und nochmals erlebte, wie Fernsehen ein Stress ist. Und mir heimlich gelobte, dies nie mehr zu tun, sondern mich auf meine Geschichten zu konzentrieren. Diese darf ich wenigstens gestalten, so lange ich will, niemand unterbricht mich, jeder kann ja aufhören zu lesen, wenn’s ihm zu lang wird.
Stichwort Geschichten, da kam auch die Frage, ob ich nur Erdbebengeschichten schreibe. Das war doch ein Anlass, das Notebook – oder den Laptop, gefälligst? – aufzuklappen und eine kurze Story vorzulesen. Welche hätte sich besser geeignet als „Wenn es im Schuh klingelt, war ein unbegabter Klauer am Werk“, denn meine Frau Rosi war da erwähnt, war auch mitgekommen und saß neben mir. Das häufige Gelächter war diesmal nicht ab Band eingespielt wie beim Fernsehen, sondern spontan, natürlich und echt. Und für mich bildete meine Rezitation die willkommene, seltene Gelegenheit, Live-Reaktionen auf eine meiner Geschichten an einem echten Panel (so nennt man ein Versuchs-Publikum) zu beobachten. Zudem wollte ich zeigen, dass es in Haiti auch Auslöser zum Schmunzeln gibt, nicht nur zum Weinen. Das nächstemal treffen wir uns in sechs Jahren, dann ist die Reihe wieder an mir, immer nach Alphabet. Denn jährliche Zusammenkünfte liegen nicht mehr drin, für mich, das ist wohl klar. Ich schlug als Sitzungsziel Haiti vor, eigentlich mehr zum Schmunzeln. Vielleicht sind nämlich bis dann die Schutthaufen abgetragen, der Morast ist ausgetrocknet und ich verfüge mindestens wieder über einen bewohnbaren Hühnerstall. Und prompt, der Walti hat sich bereits angemeldet. Er war ja auch Turnlehrer und Geograph, beides trifft sich doch gut. Die Nicht-Turner werden jedoch ein Stück gstabiger sein. „So könnte das Treffen in einer Rollstuhl-Kolonne erfolgen“. Nochmals war das Gelächter nicht vom Band eingespielt.
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