Die Chilenen werden am 4. September in einem obligatorischen Referendum über die Annahme oder Ablehnung einer neuen Verfassung abstimmen. Die heutige Verfassung des südamerikanischen Landes stammt aus dem Jahre 1980. Sie wurde durch die damals herrschende Militärregierung erarbeitet und am 11. September 1980 in einer Volksabstimmung, die unter großem Druck stattfand und nicht demokratischen Kriterien entsprach, mit siebenundsechzig Prozent angenommen. Das Nachbarland von Peru, Bolivien und Argentinien hatte im Dezember nach einem polarisierten Wahlkampf einen linksgerichteten Präsidenten gewählt und befindet sich seit einem sozialen Aufstand gegen die Ungleichheit im Jahr 2019, der Dutzende von Toten forderte und die Wirtschaft und die politische Klasse erschütterte, in einem tiefgreifenden Wandel.
Diese Proteste wurden von dem ehemaligen Studentenführer Gabriel Boric unterstützt, der als Präsidentschaftskandidat gegen einen rechtsextremen Kandidaten antrat, der versprach, einen „Wohlfahrtsstaat“ zu errichten und Chiles verfassungsmäßig geschütztes neoliberales Wirtschaftsmodell, dem der relative Reichtum des Landes zugeschrieben wird, das aber auch für die tief sitzende soziale Ungleichheit verantwortlich gemacht wird, abzuschaffen. Die Proteste im Jahr 2019 führten zu einem Referendum im Jahr 2020, bei dem sich die Chilenen mit überwältigender Mehrheit für eine Verfassungsänderung aussprachen. Dies führte dazu, dass im Mai 2021 einhundertfünfundfünfzig Mitglieder der verfassungsgebenden Versammlung gewählt wurden, die ein neues Grundgesetz ausarbeiten soll.
Das mehrheitlich linksgerichtete gewählte Gremium begann im Juli letzten Jahres mit der Arbeit an dem Text. Am Dienstag erklärte die Regierung Boric, dass die Chilenen am 4. September über die neue Verfassung abstimmen werden. Das Datum hat in Chile eine symbolische Bedeutung: Es war das traditionelle Datum für die Präsidentschaftswahlen bis zu dem Putsch, der 1973 den sozialistischen Führer Salvador Allende stürzte und eine fast zwei Jahrzehnte währende Diktatur einleitete. Rund fünfzehn Millionen Wahlberechtigte werden zwei Monate Zeit haben, den vorgeschlagenen Text zu prüfen, bevor sie im September ihr Kreuzchen machen, so die Regierung.
Eine private Umfrage hat jedoch am Montag ergeben, dass die Ablehnung der vorgeschlagenen neuen Verfassung, die in Chile ausgearbeitet wird, auf 46 Prozent gestiegen ist und damit zum ersten Mal die Absicht, den Text zu billigen, übertrifft und das trotz der jüngsten Kontroverse über die darin enthaltenen Regeln. Laut der Plaza Pública-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „Cadem“ ist die Ablehnung der bisher diskutierten Themen im Vergleich zur letzten Umfrage um zehn Punkte gestiegen, während die Zustimmung bei vierzig Prozent liegt. Kontroversen über Eigentumsrechte, die Abschaffung des Senats und das Schicksal der Ersparnisse in privaten Rentenfonds haben die öffentliche Meinung erschüttert. Die Umfrage zeigte auch, dass die Zustimmung zu Präsident Gabriel Boric um fünf Punkte auf fünfundvierzig Prozent sank, während die Ablehnung auf fünfunddreißig Prozent stieg, ein Anstieg um fünfzehn Punkte innerhalb von zwei Wochen.
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