Die Zeiten da die Weltmedien über das Kätzchen berichteten, das in Argentinien unter einen Traktor kam, sind vorbei. Haiti ist aus dem Büsi-Land „empor“ gerückt, in den Mittelpunkt der Weltpresse. Ausnahmsweise nicht durch Tote und Gekidnappte, sondern durch Taten, geschickte und ungeschickte selbst der Politiker, und nächstens wird das größte und teuerste Schiff der Welt als Erstes Haiti anlaufen, das Armenhaus Amerikas. Es gibt eben Zeichen und Zeichen, Symbole und Symbole, Kehrseiten und Seiten. Und in Haiti steht heute das Gesicht der Welt auf dem Spiel.
Auch die Regierung Haitis ist täglich einige Zeilen wert, selbst in den größten Zeitungen des größten (Fast-) Nachbars. Zuerst war es Madame Michèle D. Pierre-Louis, die, ewig lächelnd, von sich reden machte. Ein rundes Jahr lang bestand sie als Premier-Ministerin, und mit ihrem Lächeln hatte sie sich selbst in den Herzen der großen Journalisten einen sicheren Platz verschafft. Ich mochte sie zwar auch recht gut, aber immerhin habe ich einst bezweifelt, ob ihr Fingerspitzengefühl für ein so hohes Amt genüge.
Nun scheint die Dame wieder über ihre Klippe gestolpert zu sein. Denn zweifellos hat sie Großes geleistet, bestand vor dem Sicherheitsrat und führte wichtige Konferenzen mit Investoren aller Herren Länder mit Bravour. Die US-Präsidenten waren gerade abgereist, sie haben ja noch anderes zu tun als zu feiern, und Haiti war Ready for Take-Off, und die Gase im Heck der Weltraumrakete konnten jeden Moment zünden.
Doch da geschah es – ich hörte munkeln, das sei inszeniert von Kreisen, die das Wohl Haitis und den Start der Haiti-Rakete um jeden Preis verhindern wollten – der Senat platzierte exakt jetzt ein Misstrauensvotum gegen die Premierministerin, wegen angeblichen Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit einem Beitrag zur Katastrophenhilfe. Wie ich als Hofnarr die Sache sehe, hat Frau Michèle Pierre-Louis eine zügige Katastrophenhilfe wichtiger befunden als die Regeln der Buchhaltung, und die bürokratischen Querelen missachtet.
Ein anderes Gemunkel, eines kommt selten allein, aus der Gerüchteküche unterstellt dem Chef zunehmenden Argwohn, mit dem er das Vorstoßen der Premiere in sphärische Gefilde beobachtet hätte. Aber was schwatzt man doch alles über einen Chef, der am Durchstarten ist.
Das größte Übel aber war wiederum das mangelnde Fingerspitzengefühl wie auch schon, denn die beleidigte Leberwurst erschien nicht zur geforderten Fragestunde im Senat, und ihr Schicksal war besiegelt. Die Mehrheit für ein Misstrauensvotum war erreicht, so läuft eben Demokratie.
Dass sie rundum tatkräftig geholfen hat, haben die Presseerzeugnisse anerkannt. Sie haben bedauert, dass die erfolgreiche Politikerin abtreten muss, und befürchtet, dass sich jetzt viele Großinvestoren zurückzögen und Haiti zurückfalle ins gewohnte Chaos. Allen Unkenrufen zum Trotz hat Präsident Préval die Situation erkannt und augenblicklich gehandelt. Noch in der Stunde der Abwahl von Frau Pierre-Louis hat er in der Person von Planungsminister Jean Max Bellerive einen Nachfolger ernannt, der noch von beiden Kammern zu bestätigen ist, was inzwischen geschehen ist.
Einige Kommentatoren vermuten, dass Frau Pierre-Louis nach den Auftritten in den USA dem Präsidenten zu mächtig geworden war, wer weiß… Bis jetzt scheint es, dass der Neue die Akzeptanz der ausländischen Presse gefunden und der Präsident die seine nicht verloren hat.
Weniger Akzeptanz finden hingegen Senat und Regierung. Da wird von Rückfall in die volatile Politik, Regierung der Komödianten, Kindergarten, Cabaret und ähnlichem gesprochen, oder man liest die Meinung, den Senatoren gehe es mehr um ihre eigene Wahlpublicity als um eine Lösung der Regierungskrise.
Die Journalisten sind jedoch zu weit weg, und schreiben zudem gerne zu rasch, eben fürs Zeilengeld. Beides trifft bei mir nicht zu, ich konnte die Wahl ins Unterhaus gestern Abend am lokalen Fernsehen verfolgen. Sie ging zügig, korrekt und sehr professionell über die Bühne. In einer guten halben Stunde war der Premier mit 52 gegen 0 Stimmen, bei 2 Enthaltungen, gewählt. Der Präsident hält sich wie gewohnt zurück. Er hat gehandelt, nicht gesprochen, man scheint das zu anerkennen.
Auch sein „Kindergarten“, der von der Presse abschätzig so bezeichnet wurde und Regierung spielt, kann ihn kühl lassen, wurde er doch vom Ausland her mit „Mitarbeitern“ bestückt, von denen jeder CEO nur träumen könnte: Bill Clinton, Jimmy Carter, Barak Obama, Ban Ki Moon & Co. beschäftigen sich mit den Problemen des Armenhauses, die alle sind zu erlaucht, um sich für eine „Kasper-Regierung“ eine Blöße zu geben. Wenn solche Gesichter, und das Gesicht der ganzen Welt, zu verlieren sind, dann KANN ja nichts mehr schief gehen. Selbst im einstigen „Unland“ Haiti, dem Armenhaus der westlichen Welt.
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