Der Spaziergang hinter die Bergburg hat es offenbart, das Gefälle ist groß. Ich meine das des Geländes. Je nach Blickwinkel ist es Gefälle oder Steigung. Auch das Sozialgefälle ist groß, und die Sozialsteigung erst recht. Und dabei habe ich die Auswahl nicht gezielt getroffen, dazu fehlt mir auch der Überblick, sondern rein zufällig. Es gibt hunderte solcher Wohlstandshäuser, Paläste, Residenzen, tausende von Hütten, Zelten und Halbzelten. Hier oben und überall.
Man pflegt zu sagen, die Hütten seien so schlecht gebaut, dass sie zusammenfallen müssten, kein Erdbeben überstehen könnten. Hier oben hinter der Bergburg hat es auch gebebt. Keine einzige Hütte ist eingestürzt, wie man sieht. Es gab zwar klaffende Wunden, manchmal stürzte eine Wand oder eine Ecke in die Tiefe, aber erhebliche und todbringende Schäden gab es nur bei den Großen, bei den Betonklötzen. Alles andere erwies sich als Vorurteil.
Aufwärts geht es langsam, Stunden, Jahre, auch ganze Leben reichen nicht. Es kostet viel Schnauf und Schweiß. Und abwärts sind die Unterschiede in Sekunden überwunden, genau ausgedrückt in 35 Sekunden. Wie am 12.Januar dieses Jahr. Mein Haus lag vorher nicht hier, sondern auf einem Küstenhügel in Gressier. Übrigens auf Fels gebaut. Teils mit doppelten Betonböden. Aber sozial entsprach es wohl diesen Zufallsbeispielen, die das Erdbeben glücklich überstanden haben. Andere haben es nicht, mein Haus gehört auch zu denen.
35 Sekunden genügten, zu vernichten, was Generationen geschaffen hatten: meine Eltern, ihre Vorfahren, meine Freunde und Familienglieder mit mir zusammen. Es waren immerhin drei Schweizer Häuser, eines in Bahnhofnähe einer größeren Stadt, Häuser die ich verkauft und hier reinvestiert hatte. Leider nicht diversifiziert. In 35 Sekunden war alles dahin. Mitsamt den lebenden Tieren, Gemälden, den Bibliotheken, den Antiquitäten, den Filmen und Dias, den übrigen Werken, außer dem Leben. Und das geht weiter, das muss jetzt genügen.
Seither habe ich gelernt, auch so zu leben wie alle, in einfachen Häusern oder Hütten, ohne Gemälde, Bibliotheken, Antiquitäten, Filme und Dias. Mit Wasser, das sie mir herauftragen, jeden Tag. Ich suche mir neue Ziele, ich lebe auch so. Das Glück hängt nicht mit der Umgebung zusammen. Die Welt ist schön. Man darf leben, Welt aber muss man spüren.
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