Dass in Haiti Seen überlaufen und Naturgesetze außer Kurs geraten, das wissen Sie indessen. Auch der blaue See mit dem zungenbrechenden Indianernamen an der Grenze zur östlichen Ferienrepublik, der Dominikanischen Republik, ist am Überlaufen- man weiß nur nicht warum. Vermutlich handelt es sich um Unterwasserquellen, die von den Kartsthochflächen der seitlichen Kordilleren gespiesen werden. Inzwischen berichten die dominikanischen Behörden erneut von Überschwemmungen, dutzende Geschäfte an den Ufern des Sees stehen unter Wasser.
Zur Rettung der Küstenstraße, der Hauptverbindung zur dominikanischen Hauptstadt Santo Domingo, werden der Straße entlang in großem Stil Schuttmassen ins Wasser geschüttet, die den Verkehr bis jetzt bewahren konnten. Die Vegetation des Küstensaumes ist schon seit Jahren erstickt, und die einst einzigartige Fauna an Flamingos, Krokodilen und hunderten seltener und endemischer – nur hier vorkommender – Tierarten wurde sukzessive verdrängt. Dass viele Fische auch in Aquarien der Welt gezüchtet werden, hilft vielleicht einige Arten zu erhalten. Ein schwaches Trostpflästerli.
Über die Neujahrstage wurde das Fischsterben ein Thema der Medien. An die 3.300 Choleratoten und über 150.000 in Notspitälern liegenden Angesteckten hat man sich leider gewöhnt. Nun spricht man über die Fische, die im Azüey-See auf dem Rücken liegen – es schwimmen keine mehr im Wasser, denn alle sind tot. Die Fischer haben keine Arbeit mehr, nichts mehr zu essen. Das hatte auch traurige Konsequenzen auf all die Tiere, die von den Fischen lebten- die Krokodile und die roten Flamingos und all die andern, eine ganze Welt.
Dass der See unter Naturschutz steht, wird jetzt noch papieriger als es schon war. Wie wenn es hierzulande nicht schon genug wertloses Papier gäbe. Selbst wenn es Parkwächter und eine Infrastruktur gegeben hätte, könnte dies an den zerstörerischen Naturspielen auch nichts ändern. Noch vor dem Erdbeben wurde ein grenzüberschreitendes Umweltprogramm (PMT) ins Leben gerufen, es wurden beeindruckende Projekte, Medienaktivitäten, Lager und Kurse für die Bevölkerung durchgeführt, und das rege Interesse gab zu einigen Hoffnungen Anlass. Diese erfreulichen Anstrengungen gerieten natürlich am 12. Januar tief unter Schutt.
An den Gestaden des blauen Traumsees, vor allem bei Fond Parisien, beginnt eine erschreckende Verstädterung zu wuchern. Eine moderne Stadt für 6.5 Milliarden US$ mit 34.000 Wohnungen, 540 Geschäftslokalen, einem Industriepark mit 300 Hallen, einer Universität & Co. sollte aus dem Boden gestampft werden, es war das grösste und ehrgeizigste Projekt, welches in Haiti je begonnen wurde(Cité du Lac). Einige Bauarbeiten waren schon im Tun, als das zerstörerische Goudou-goudou jegliche Planung über den Haufen warf. Was mit dem Projekt geschieht, ist noch völlig offen. Auch die Zukunftsprojektion einer Schadenbilanz habe ich nie gesehen.
Immerhin, die Zelt-Riesenstädte der Erdbeben-Opfer dürfen ja nicht ewig bleiben. Dass sich einige davon eines Tages hierher verlagern, mit allen ökologischen Konsequenzen, ist ja einleuchtend. Jedenfalls hätte es im blauen See bereits genügend Nahrung gegeben, jetzt gibt es keine mehr. Und auch mit den geplanten Touristenhotels ist es aus, denn ohne Flamingos und Krokodile wollen auch die Touris nicht mehr recht.
Die Abgeschiedenheit der Cul-de-Sac-Depression mit dem prachtvollen Blau der Seen, den eigenwilligen urindianischen Namen „Azüey“-See (französisch Étang Saumâtre) und „Hagueygagon“ und eine gigantische optische Täuschung werden das Einzige sein was übrig bleibt. Das mag ja für einen gewissen Tourismus immer noch genügen, aber das Leben wird am Azüey-See sterben. Das Blau und die Probleme in Haiti sterben aber nicht, und das gebeutelte Land wird einmal mehr wieder auf- und weiterleben.
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