Ich habe geschildert, wie hier die Drachen jeden Tag steigen und turnen, das ganze Jahr. Aber am Karfreitag und an Ostern ist das besonders Brauch. Da steigen nicht nur die schmucklosen Papierdrachen von arm und reich, sondern schon wochenlang vorher werden an den Straßenecken Osterdrachen verkauft, gelegentlich so schön und teuer, dass sie zuhause als Dekoration dienen müssen.
Während Papis und Mamis in Europa bunte Eier verstecken, durch die Kinder suchen lassen und dann „tütschen“, steigen auf der Insel die Drachen, dies- und jenseits der Landesgrenzen. Auch schokoladene Osterhasen haben hier keine Chance, sie sind in der Hitze weggeschmolzen, noch bevor sie auf den Tropenwiesen umher hoppeln konnten. Aber Drachen aus Papier, die schmelzen nicht. Im Gegenteil, sie lieben die Bodenhitze, die dann ungestüm hochwirbelnde Winde erzeugt – Gelehrte und Piloten nennen das „Thermik“, und ein Segelspiel nennt man „Turn“, und schon wird „Thermik“ zu „Turnik“. So einfach ist das.
Jugend- und wer sich so fühlt- beginnt schon monatelang vorher mit dem Bau ausgeklügelter Drachengespanne, die auch kunstvoll und üppig verziert werden. Bunt wie nordische Ostereier, also doch eine Gemeinsamkeit. Auch in Schulen und Kindergärten gilt jetzt nur noch ein einziges Bastelthema, und jeder versucht das schönste und technisch vollkommenste Kunstwerk zu bauen.
Schon zwei Wochen vor Ostern wird geübt, Platzrunden gedreht, kühne Drachenpiloten haben Hausdächer besetzt und lassen ihre Werke steigen. Nicht einfach, die Dinger an hunderten von Drähten vorbei zu lotsen, die von den Stromdieben von einer Freileitung zum eigenen Wohnsitz gezogen wurden. So hängen die verunfallten Fluggeräte nach kurzem Start in die Hoffnung oft traurig von den Stromfäden herunter und warten auf einen befreienden Wirbelsturm. Die glücklichen Aufsteiger aber wirbeln höher und tanzen mit ihren Partnern lustig um die Wette. Sie steigen so hoch in den Himmel, dass man sie nicht mehr sehen kann. Ganz ähnlich wie bei den Menschen. Das dauert eine gewisse Zeit und ist dann plötzlich vorbei, wie so viel anderes. Bei den Drachen am Freitagabend, sie haben Ostern nicht einmal mehr erlebt. Denn vom Samstag an sieht man keinen einzigen Drachen mehr.
Vermutlich wird so der jahreszeitliche Wechsel gefeiert. Denn mit dem heißeren Sommer beginnen auch die aufstrebenden Winde, eben die Thermik und Turnik, ihr Spiel. Ich hätte gern mehr über die Gründe geschildert, doch konnte ich darüber selber nichts erfahren. Die Antwort lautet wieder einmal, dass das immer so war. Man muss ja auch nicht immer so dumm fragen nach allem.
Der Titel meines zweiten Buches aber wird wohl lauten: „Von der Leseratte zum Erlebnisdrachen.
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