Zwei verdächtigte Sterne unschuldig an mysteriösem Antiteilchen-Überschuss

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Das HAWC-Observatorium in Mexiko mit dem Pico de Orizaba im Hintergrund. Foto: H. Schoorlemmer, MPIK
Datum: 17. November 2017
Uhrzeit: 21:44 Uhr
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Autor: Redaktion
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Mit dem HAWC-Observatorium in Mexiko gelang einem internationalen Wissenschaftlerteam der erste Weitwinkelblick im extrem energiereichen Licht auf die Umgebung von zwei schnell rotierenden Sternen, sogenannten Pulsaren. Demnach können diese beiden trotz ihrer in kosmischen Maßstäben geringen Entfernung wohl nicht für den mysteriösen Überschuss an Antiteilchen verantwortlich sein, der im Erdorbit beobachtet wird.

Ein Satelliten-Instrument hat 2008 unerwartet viele Positronen – die Antiteilchen der Elektronen –gemessen und damit einige Aufregung unter Wissenschaftlern verursacht. Diese überraschende Beobachtung haben andere Detektoren betätigt, u.a. an Bord der internationalen Raumstation ISS. Woher diese Positronen kommen, ist bis heute ungeklärt. Die Vermutungen reichen von noch unbekannten Prozessen mit Dunkler Materie bis hin zu – nach kosmischen Maßstäben – nahen, mittelalten Pulsaren als Quellen. Pulsare sind sehr schnell rotierende Neutronensterne, also die kompakten Überreste explodierter massereicher Sterne. Entlang der Achse ihres Magnetfelds schleudern sie energiereiche Teilchen ins All.

Die Wissenschaftler der HAWC-Kollaboration haben nun mit ihrem Gammastrahlen-Observatorium High Altitude Water Cherenkov Detector (HAWC) zwei der verdächtigten Pulsare („Geminga“ und „PSR B0656+14“) samt ihrer Umgebung ins Visier genommen und die Form dieser Objekte im höchstenergetischen Gammalicht – rund 10 Billionen Mal energiereicher als sichtbares Licht – sowie ihr Energiespektrum detailliert vermessen. Die Ergebnisse sprechen Geminga und PSR B0656+14 frei.

Rubén López-Coto vom MPI für Kernphysik, einer der Korrespondenzautoren der in Science erschienenen Studie, erklärt: „Die mit HAWC gemessenen Gammastrahlen bestätigen, dass aus der Umgebung der beiden Pulsare energiereiche Positronen entkommen, aber unsere Analyse ihrer Ausbreitung zeigt auch klar, dass sie keinen wesentlichen Beitrag zum beobachteten Positronen-Überschuss leisten können.“ Denn die von den beiden Pulsaren ins All geschleuderten Teilchen sind viel langsamer als erwartet und können die Erde deshalb nicht erreichen. „Das hat möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf unser generelles Verständnis der kosmischen Strahlung“, ergänzt Jim Hinton, der am MPI für Kernphysik die Abteilung „Nichtthermische Astrophysik“ leitet.

Das HAWC-Observatorium steht auf etwa 4100 m Höhe an der Flanke des Vulkans Sierra Negra im Nationalpark Pico de Orizaba, Mexiko. Es besteht aus 300 dicht beieinander stehenden Tanks mit je 7,3 m Durchmesser und einer Höhe von 4,5 m, die mit hochreinem Wasser gefüllt sind. Wenn höchstenergetisches Gammalicht auf die Lufthülle der Erde trifft, zerschlägt es dort Atome, sodass Kaskaden von Elementarteilchen, sogenannte Teilchenschauer, entstehen. Diese Teilchen erzeugen in den Wassertanks blaue Lichtblitze, die von empfindlichen Lichtsensoren registriert werden. Daraus können die Forscher Energie und Herkunftsrichtung des ursprünglichen Gammastrahls ableiten.

Trägt man die Herkunft aller beobachteten Gammastrahlen in eine Himmelskarte ein, entstehen Bilder der einzelnen Gammastrahlungs-Quellen. Dazu zählen die Überreste explodierter Sterne; allerdings kommt das höchstenergetische Gammalicht nicht von den Sternleichen direkt. Vielmehr entsteht es in ihrem ‚Trümmerfeld‘, wenn extrem beschleunigte Teilchen auf niederenergetisches Licht treffen. Die Größe dieses ‚Trümmerfelds‘ – der Himmelsbereich, der im höchstenergetischen Gammalicht hell leuchtet – hängt davon ab, wie schnell sich die Materie von ihrem kosmischen Beschleuniger entfernt. So konnten die HAWC-Wissenschaftler abschätzen, wie viele Positronen von den beiden Pulsaren die Erde erreicht haben könnten.

Entscheidend für die Messungen war der Weitwinkelblick von HAWC, das diese ausgedehnten Gammaquellen als Ganzes erfassen kann. Nur so lässt sich die Ausbreitung der Teilchen direkt bestimmen. Teleskopsysteme wie etwa H.E.S.S. haben dafür ein zu kleines Sichtfeld. „Diese Messung illustriert schön, welches große Potenzial die Methode von HAWC – die Schauerteilchen am Boden nachzuweisen – für die Gammastrahlen-Astronomie hat. Sie ergänzt hervorragend die Möglichkeiten von Tscherenkow-Teleskopen”, unterstreicht Hinton.

Auch wenn die beiden verdächtigten Pulsare unschuldig sind, ist es immer noch möglich, dass andere Pulsare für den mysteriösen Positronen-Überschuss verantwortlich sind. Deshalb wird HAWC weiterhin diese Objekte beobachten. Mit dem erweiterten Instrument und fortgeschrittenen Analysetechniken wird sich ein detailreicherer Blick darauf ergeben.

Der HAWC-Kollaboration gehören insgesamt 34 Institute aus Mexiko, den USA und Europa an. Das MPI für Kernphysik ist als einziges deutsches Institut an HAWC beteiligt. Es wirkt maßgeblich an der Erweiterung des Detektorfelds mit sogenannten Outrigger-Tanks mit. Das sind kleinere Wassertanks, die derzeit in lockerer Anordnung um die großen Tanks herum aufgebaut werden. Sie verbessern ganz wesentlich die Charakterisierung von Teilchenschauern, die im Randbereich des Haupt-Detektorfelds auftreffen. Das betrifft insbesondere die höchsten von HAWC beobachtbaren Energien, die von überragender Bedeutung für die Erforschung von Gammaquellen sind.

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