Kinderehen stellen eine schwere Verletzung der Rechte von Mädchen dar – mit gravierenden Auswirkungen auf ihre Gesundheit und ihr gesamtes zukünftiges Leben. Im südamerikanischen Land Brasilien ist Kinderheirat eine weit verbreitete Praxis, die Problematik wird von der Regierung stiefmütterlich behandelt. Laut einer Studie der Universität „Universidade Federal do Pará“ und der sich in Sachen Gleichberechtigung engagierenden Nichtregierungsorganisation (NGO) „Instituto Promundo“ findet Kinderheirat nicht nur in den abgelegenen Gebieten des größten Landes in Lateinamerika statt. Drogenmissbrauch oder sexuelle und häusliche Gewalt im familiären Umwelt sind in Brasilien weit vorbereitet und oft sind Mädchen und Frauen die ersten Opfer dieser Gewaltspirale. Angesichts dieser Tatsache ist es nicht verwunderlich, dass mehr als 30 Prozent der Frauen vor dem 18. Lebensjahr eine Ehe eingehen und damit dem vermeintlichen Übel entkommen wollen.
Für ein minderjähriges Mädchen ist eine Hochzeit allerdings nicht der schönste Tag des Lebens – sondern bedeutet das abrupte Ende seiner Kindheit. Obwohl die Vereinten Nationen 1994 allen Staaten empfohlen haben, das Heiratsalter auf 18 Jahre anzuheben, ist in mehr als 50 Staaten die Verheiratung von Mädchen unter 18 Jahren legal. Rechtlich kann eine Brasilianerin im Alter von 16 Jahren heiraten, wenn sie die Zustimmung der Eltern hat. Das Mindestalter kann unter bestimmten Umständen reduziert werden – wenn zum Beispiel eine Schwangerschaft vorliegt. Das Strafgesetzbuch verbietet allerdings jede Art von sexuellen Aktivitäten, auch wenn sie einvernehmlich stattfinden, mit Kindern unter 14 Jahren.
Laut Angaben von Studien-Autorin Alice Taylor ist die durchgeführte empirische und qualitative Sozialforschung über Kinderehen die erste ihrer Art, die im Land durchgeführt wurde. Nach ihren Worten hat eine Zählung aus dem Jahr 2010 ergeben, dass über 877.000 junge Frauen zwischen 20 und 24 Jahren aussagten, dass sie schon im Alter von 15 Jahren verheiratet waren. Landesweit gibt es über 42.500 registrierte Ehen von Kindern und Jugendlichen, die meisten sind informell. Die Studie wurde in den Bundesstaaten Pará und Maranhão durchgeführt, die Staaten mit der höchsten Inzidenz von Kinderheirat.
„Es wird angenommen, dass Kinderheirat nur in ländlichen und abgelegenen Gebieten von Brasilien stattfindet. Unsere Forschungsergebnisse belegen, dass dies auch in städtischen Gebieten und den Landeshauptstädten wie Belém (Pará) und São Luís (Maranhão) geschieht“, so Taylor. Hochzeiten von Kindern in Brasilien und ganz Lateinamerika bezeichnet sie als „meist informell und konsensuell“, im Gegensatz zu Südasien und Afrika südlich der Sahara, wo es sich eher um ein „formales Ritual“ handelt. „Kinderheirat ist ein Beweis für den Mangel an Chancengleichheit von Frauen in Bezug auf Bildung und Beschäftigung. Sie heiraten mit der Erwartung, dass ihr Leben besser sein wird und sie mehr Unabhängigkeit erlangen. Diese Erwartung wird in der Regel nicht eingehalten/erfüllt“. Für die Studie wurden verschiedene Regierungsbeamte und verheiratete Männer von 25 bis 60 Jahren, die mit jüngeren Frauen und Mädchen (12 bis 18 Jahre) verheiratet sind, befragt. „Die meisten der Männer gaben für ihre Gründe hinsichtlich einer Hochzeit mit einer jungen Frau/Mädchen bekannt, dass diese attraktiver und leichter zu kontrollieren sind“, so Taylor.
Die Folgen von Kinderheiraten sind häufig sehr frühe und ungewollte Schwangerschaften – oft mit lebensgefährlichen Konsequenzen. Jedes Jahr sterben nach Angaben von UNICEF weltweit schätzungsweise 50.000 junge Frauen im Alter von 15 bis 19 Jahren an Komplikationen bei der Schwangerschaft und Geburt – die häufigste Todesursache für Mädchen in dieser Altersgruppe.
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