Ich spreche nicht von den Bildern, die im Auge, im Kopf oder in einer Kamera entstehen. Ich spreche von den gemalten, also interpretierten, gefilterten Abbildungen der „Wirklichkeit“, Gemälden, Mosaiken aus Steinchen, Flimmerplättchen oder Muscheln. Sie hängen in den berühmtesten Kunstmuseen der USA und der Welt, im Nationalmuseum Haitis in Port-au-Prince und in den vielen Kunstgalerien in Pétion-Ville und in andern Orten, aber sie hängen auch auf offener Straße und an den belebten Plätzen der Städte.
Bilder sind hier Alltag wie nirgends in anderen Ländern. Malerei ist ein Grundpfeiler des haitianischen Lebens. Und im Ausland gesucht. Sie ist nicht nur hohe Kunst und Volkskunst. Sie ist ein Medium, von den Massen anerkannt, ein Massenmedium. Politisch und auch religiös. Sie spielt im Leben eine enorm wichtige Rolle, wie übrigens auch die anderen Kunstgattungen, man denke an die Musik.
Malerei ist hier so alt wie die Menschheitsgeschichte. Die Anfänge gehen in die vorkolumbianische Zeit zurück. Sie liegen in den Höhlenbildern und Felszeichnungen der Taino-Indianer und Vèvè-Symbolen der Voudou-Gottheiten.
Der Sklave Luc aus Léogâne war schon während der französischen Kolonialzeit als Maler berühmt. In den Tagen der Negerrepublik waren Henri Christophe und Alexander Pétion prominente Kunstmäzene. Sie gründeten Kunstgewerbeschulen, gaben an Maler bezahlte Aufträge und luden ausländische Gastkünstler ein.
Hauptthema war die Verherrlichung der Revolution und des königlichen Hofes, Porträts der Könige und ihrer Familien. Wie bei uns. Das Gemälde von Numa Desroches mit dem Palais Sans Souci wurde berühmt. 1840 gründete Kaiser Fausti Soulouque die Reichsakademie der Schönen Künste. Hier wurde die Naive Kunst stilisiert, wie sie noch heute bezeichnend ist für Haiti. Nach 1900 gelangten einige Maler aus Cap Haitien zu Weltruf, darunter Philomé Obin mit seinen Szenen aus dem Alltag und aus der Großen Revolution. Es folgte die Zeit der Négritude und der Besinnung auf die Afrikanischen Wurzeln, etwa mit Pétion Savain, Georges Ramponneau, Luce Turnier und Lucien Price.
In den 40er Jahren stach besonders Dewitt Peters hervor, der das Centre d’Art in Port-au-Prince gründete. Es wurde zu einem führenden Zentrum der Naiven Kunst. André Pierre, Hector Hippolyte, Castera Bazile, Wilson Bigaud und Rigaud Benoit schufen Werke mit religiösen Themen, häufig christliche mit Voudou gemischt. In der Kathedrale Sainte Trinité haben Obin, Benoit, Bazile und Bigaud eine monumentale Wandmalerei hinterlassen, auf der biblische Gestalten mit schwarzen Gesichtern, Trommeln und fremden Tieren dargestellt sind.
Später gründete Duffaut die Schule von Jacmel mit ihren Dschungelgeschichten, Löwen und Tigern in hiesiger Umgebung, oder übergroßen Früchten. In der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts stach die School of Beauty mit Bernard Sejourn, Jean René Jérôme, Philippe Dodard und Emilcar Similien hervor. Sie verkörpert einen verspielt-träumerischen Surrealismus, wo individuelle Gefühle wichtiger sind als nationales Bewusstsein.
Aus Jacmel stammen auch die Bilder auf Hartpavatex, hier „Carton“ genannt. Da diese schön aber billig sind, schleppt wohl jeder Tourist und Besucher der Südküste Reiseandenken in Form von Telleruntersätzen oder Riesenfrüchten als Wanddekoration Koffern weise nach Hause, wie sie in jedem Kiosk und Andenkenladen angeboten werden. Auch Mini-Mosaike aus Sand und Steinchen sind beliebte Mitbringsel der Touristen; sie zeigen häufig eine Landkarte Haitis und sind gegen Verlust der aufgeklebten Körner durch einen durchsichtigen Plastiküberzug „geschützt“.
Manchmal sind auch die Farben mit irgendwelchen Stoffen oder Metallen gemischt, und die Bilder werden fast zu dreidimensionalen Reliefs. Auch die Techniken des Farb- und Materialauf- bezw. Abtrags sind mannigfaltig, der Phantasie der Künstler sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt.
Auf dem Kunstmarkt erzielten haitianische Werke Spitzenpreise, und es verwundert nicht, dass die Malerei kommerzialisiert wurde. Heute entsteht viel Massenware, die von den Touristen gekidnappt und in ihre Länder entführt wird. Anstelle der historisch-politischen und religiösen Themen trat was von den Touristen am meisten gefragt wurde, Landschaften, Alltagsleben, primitive Landwirtschaft, afrikanische Wurzeln oder auch etwas Erotik von der feinen Sorte.
Dass Sänger und Musiker sich politisch engagieren, ist schon lange bekannt. Jetzt werden auch die Maler politisch. Zu Recht und in jeder Façon: Haitianische Malerei und Bildhauerei ist einmalig und weltberühmt.
Leider kein Kommentar vorhanden!