Mit den vielen Nebenarbeiten zu den Büchern, den dauernd anfallenden Problemen mit dem Internet, den vielen Kindern und den täglichen Abenteuern im Land, das bekanntlich nicht das einfachste ist, bin ich recht gut eingedeckt und habe kaum Zeit für Eskapaden. Zudem sind in diesen Tagen Besucher und Leser aus deutschen Landen angekommen, und übermorgen ist ein Besuch beim Abenteurer-Kollegen, Piratenjäger und Ami-Freund Max vorgesehen.
Für heute aber ist ein Aufstieg auf die Kordillere hinauf angesagt, um nicht ganz zu vergessen, dass Haïti nicht nur Trümmer und Seuchenkranke, sondern durchaus seine Reize aufzuweisen hat und dies auch meinen deutschen Besucherfreunden zu zeigen. Die glauben bestimmt, wie alle Leser, dass dieses Land nur noch aus Kahlköpfen und Kahlschlägern besteht, und ein derartiges Vorurteil möchte ich gern in ein Urteil umwandeln. Dazu ist am besten ein Ausflug auf Moncel geeignet, zuoberst auf der Krete der Südkordillere, so nenne ich den Bergzug, der die ganze Halbinsel Tiburon von Sonnenauf- nach Sonnenuntergang durchzieht, den Finger, der direkt gegen den Wilden Westen zeigt..
Wenn du dir eine Kette rauchender Vulkanschlote vorstellst, liegst du weit daneben. Die steile Asphaltstrasse führt etwa 10 Kilometer aufwärts, über Kenscoff und weitere Bergdörfer, besiedelt von den Millionären, um den Hartbelag zu verlassen und eine gfürchige Bergpiste zu betreten, die nach Westen abbiegt und steil und steinig auf den Kamm hinaufklimmt. Wir hottern in kleinen Schlangenlinien höher und hoffen, dass es heute nicht regnet, denn an eine Rückkehr auf nasser Piste ist hier nicht mehr zu denken.
Von Zeit zu Zeit schnurren wir an einem Felsblock vorbei, auf dem in ungelenker Schrift „Moncel“ und „km“ aufgemalt ist, so sieht man wenigstens, dass man noch nicht auf der Piste zum Himmel ist. Die Anzahl vor „km“ fehlt stets, wohl geflissentlich. Denn dass sich 30 Kilometer so lang hinziehen können, würde wohl niemand durchhalten wenn er es wüsste. Zum Glück herrscht auch kein Verkehr, denn an ein Ausweichen wäre nicht überall zu denken.
Schliesslich haben es Fahrwerk und Herz hoffentlich geschafft, und es geht jetzt nur noch auf und ab, allerdings ziemlich steil. Und hie und da sogar gradaus. Zuerst durch prächtige Laub-, und schliesslich dunkelgrüne Nadelwälder, so wie wir es einst in den „Vegetationszonen“ gelernt haben. So wissen wir auch, dass wir uns wohl gegen die 1.500 Höhenmeter bewegen.
Die Piste scheint oft ziemlich vernässt zu sein, denn sie ist häufig durch zwei Steinplattenstreifen befestigt, auf die man im Bedarfsfall mit den Rädern gut zielen muss. Die Höhenstrasse oben auf dem Kordillerenkamm begnügt sich sogar mit einem einzigen Steinplattenstreifen, der hilft bei Vernässung wenigstens Zweirädern und Fussgängern, aufs Auto geziemt es sich dann zu verzichten.
Hie und da balancieren wir zwischen prächtigen Bergseelein vorbei, die „haïtianische Schweiz“ scheint der echten fast Konkurrenz zu machen. Auch das Klima ist ähnlich dem einer Sommerfrische in den Alpen; fast wäre Kleiderverstärkung angesagt. Schliesslich befinden wir uns vor dem grossen Eisentor zum Hotelgelände; der Wächter will uns 30 Dollar abknöpfen für das Öffnen. Wir sind ein Grüppli und wollen da essen, das ist doch genug – aber der Pförtner lässt sich erst erweichen, nachdem er sieht, dass wir zum Umdrehen gewillt sind …
Die Piste führt in ähnlicher Ausführung noch weiter, doch haben wir für heute genug. Im Hotel geniessen wir ein prächtiges Buffet und vergessen darob fast die ebenso herrliche Aussicht, mit Tiefblick auf den Golf von Port-au-Prince hinunter. Ich werde davon noch in zwei folgenden Kolumnen erzählen, denn jetzt sticht der Hunger.
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