Unser Mann aus Haiti: Begehrter Interview-Partner

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Datum: 18. Februar 2010
Uhrzeit: 13:46 Uhr
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Autor: Otto Hegnauer
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

Unser Freund und Redaktions-Mitglied Otto Hegnauer hat bei dem verheerenden Erdbeben in Haiti alles verloren. Trotz erheblicher Schwierigkeiten gelang es ihm über die Dominikanische Republik in die Schweiz zurückzukehren. Dort ist er bei vielen Medien ein begehrter Interview-Partner, musste er doch das Beben direkt vor Ort erleben. latina-press veröffentlicht eines seiner zahlreichen Interviews:

Biografie

Otto Hegnauer, Jahrgang 1932 besuchte die Grundschule in Zug, das Lehrerseminar in Wettingen und die Uni in Zürich. Weil er jeden Jahrgang und jede Schulstufe kennen lernen wollte, unterrichtete er alle Klassen und Stufen. Bis zu Gymnasiasten, Seminaristen und anderen Maturanden lehrte er jeweils ein Jahr lang und bildete sich dazu parallel weiter, vorerst in Filmberufen. Nach Wirken für Fernsehen und Ausbildungsmedien holte ihn 1981 die Migros, um neue Medien zu entwickeln und einzuführen und die damals 80’000 Mitarbeiter weltweit und in allen Berufen besser zu erreichen, aus- und weiterzubilden. Während der Ferien stand er Kuoni und dem Schweizer Lehrerverein als Leiter von Abenteuer- und Studienreisen in alle Welt zur Verfügung.

Wie würdest du dich charakterisieren?

Es gibt ja das Fremdbild und das Selbstbild. Als Beispiel eines Fremdbilds eher zum Schmunzeln nenne ich einen faltbaren Regiestuhl, den mir meine Mitarbeiter in der Migros-Ausbildung zum Abschied geschenkt hatten.

Regiestuhl weil ich einst als Film- und Fernsehregisseur begonnen hatte, ein Leben lang Regie in allen möglichen und unmöglichen Projekten führte und schließlich auch in der Migros-Ausbildung mit einer Art Regiearbeit aufhörte.

Faltbar weil mir nichts so zuwider ist wie das Schlange stehen, und hinten auf dem Gewebe der Rückenstütze war in großen Lettern „REGIE“ und „CHAOTTI“ aufgedruckt, so hat man mich auch genannt.

Das Selbstbild sieht natürlich anders aus: Zu sein wie alle andern ist langweilig, Abenteuer sind meine Atemluft, sie zu lesen ist gut, sie erleben ist besser.

Was hat deine Jugendzeit geprägt?

Auch Einzelkind sein war langweilig. Meine Mutter reiste zwar mit mir, in der Schweiz und Italien herum. Das stillte meinen Erlebnishunger zu wenig. Mein Vater nahm mich gelegentlich mit auf Bergtouren, das war schon besser, aber er hatte wenig Zeit. Manchmal durfte ich einen Freund mitnehmen. Mit diesen Jugendfreunden pflege ich meist heute noch Kontakt.

Hinter dir liegt ein spannendes, vielfältiges, reiches und abenteuerliches Leben. Welches waren die Triebfedern zu deinen vielen Aktivitäten?

Gegen die Langeweile habe ich viel gelesen. Höhlen, Afrika, Tiere, Fliegen, fremde Sitten und Gebräuche, das waren die Themen meiner Jugendbücher. Was ich gelesen habe, das wollte ich auch selber erleben. Und das habe ich realisiert, alles.

Bevor du ausgewandert bist nach Haiti; welches waren die prägendsten Ereignisse?

Durch das Selbst-Erleben habe ich schon früh gesehen, dass die Wirklichkeit anders ist, auch anders als es Eltern, Lehrer und Autoren haben wollten. Ich habe sie nicht gerade als Schwindler empfunden, sie waren ja alle gutmeinend, aber ich war geschockt ob all der Vorurteile. Es war gerade Weltkrieg, so waren die rassistischen Vorurteile besonders verbreitet – die halten bis heute, durch alle Schichten. Ich denke etwa an moderne Politiker von „entwickelten“ Staaten, wie die mit fremden Kulturen umgehen, mit Geld und Waffen alles erreichen wollen.

... die spannendsten Erlebnisse?

Meine Erlebnisse waren alle hochspannend, sonst hätte ich darauf verzichtet. So beginne ich einfach ganz vorn und nenne das erste: mit meinem Freund Peter fuhr ich, 12 oder 13jährig, mit dem Velo los von Zug bis Merligen am Thunersee. Wir versteckten die Räder in einer Höhle und stiegen zu Fuss in die Berge. Ich hatte von den Höhlen der Umgebung gelesen, die wollten wir suchen: Schafloch, Gemsloch, Mamilchsloch, Seefeldhöhle und andere. Da gab es sogar unterirdische Gletscher. Wir biwakierten jede Nacht in einer anderen Grotte, verirrten uns da und dort ein wenig, und aßen was uns die Sennen so anboten oder lebten von der Motivation. Nach einer Woche voller Abenteuer stiegen wir zurück ins Tal und radelten heimwärts.

Eine der spannendsten Lebenszeiten war meine Arbeit im Schweizer Nationalpark. Während ein paar Jahren durfte ich das Wirken von Forschern filmisch dokumentieren und lebte dabei meist allein mit den Tieren in Urwäldern und kleinen Hütten, oft wochenlang in der Einsamkeit. Dabei erhielt ich vom Nationalfonds ein Taggeld von 6 Franken, was kaum für ein Butterbrot reichte, aber ich lernte, dass es wichtigere Werte gibt im Leben als Geld. So war die interessanteste Zeit meines Lebens zugleich die schlecht bezahlteste.

Auf der Website www.swissfot.ch findet man u.a. sehr viele digitalisierte Bilder aus der ganzen Schweiz; auch viele Luftaufnahmen. Wie kamst du zu diesen Fotos?

Knipsen war auch so eine Leidenschaft, ich schoss alle Bilder selber. Auch die Luftaufnahmen, in der einen Hand die Kamera, in der anderen den Steuerknüppel. Ich lernte dabei beobachten und mich für das Wesentliche entscheiden. Zudem ließen die Bilder später Erinnerungen wieder aufleben, bis heute, und das ist am wichtigsten. Ich lernte auch die Schweiz kennen, denn ich ließ kaum ein Tal aus.

Du hattest schon früh einen beträchtlichen Zug nach Marokko. Warum grad Marokko?

Ähnlich wie bei der Höhlenwoche ob Merligen fuhr ich nach dem Seminarabschluss 54 mit einem andern Freund los, das Ziel war keineswegs Marokko. Wir nahmen jeder ein paar Franken in die Hosentasche und wetteiferten, wie weit wir damit wohl kommen würden, natürlich per Anhalter. Wir hatten schon Ähnliches unternommen und so Venedig, Triest, die Pyrenäenhöhlen und die Plitvicer Seen kennen gelernt. Diesmal landeten wir nach etlichen Tagen in Portugal, wo wir einen einstigen Schulfreund aufspürten. Nun lag Afrika vor der Nase, dieser Versuchung war nicht zu widerstehen. Im Riffgebirge entdeckten wir Ortschaften, wo Glas noch unbekannt war.

Die Erlebnisse würden ein Buch füllen. Ich lernte aber indessen Filme herstellen und erzählte meine Erlebnisse in 2 abendfüllenden Kinofilmen und 16 Fernsehsendungen, zu deren Herstellung mir das Schweizer Fernseh-Jugendressort Hilfe bot. Mein zweiter Beruf war geboren und Marokko mein Arbeitsort. Aufträge für Reiseleitungen und anderes kamen dazu, und ähnlich ging’s weiter in ganz Afrika.

Wie kommt ein Schweizer zu einem Wohndomizil Haiti – und zu einer haitianischen Frau?

Man mag meine Haltung als exotistisch bezeichnen, das Fremde, Exotische idealisierend, die Exoten zu „edlen Wilden“ stilisierend, ist mir egal. Gilt auch in Gegenrichtung, wobei da natürlich noch wirtschaftlich-soziale Motivationen dazukommen. Die Familien in den Hungerländern sind darauf angewiesen, pro Sippe ein oder mehrere Glieder in den Industrieländern „zu platzieren“, wo es Arbeit gibt. Die dortigen Arbeitgeber profitieren so von billigen Arbeitskräften, diese selbst senden monatlich den größten Teil ihres Zahltags nach Hause, wo die Großfamilien davon leben müssen. Als Versorger steigt auch ihr Sozialstatus.

So lebte auch meine heutige Frau bereits in der Schweiz und war unglücklich verheiratet, und als ich sie kennen lernte, war sie bereits Schweizer Staatsbürgerin. So war es nur folgerichtig, dass sie mir bald einmal ihre Heimat zeigen wollte und wohl nicht dachte, dass ich dort hängen blieb.

Was liebst du an Haiti?

Haiti liebe ich vor allem wegen des Klimas, das sich nach meiner Überzeugung auch auf den Menschen überträgt, ich glaube überall auf der Welt. Die Menschen hier sind liebenswert und warmherzig, und wenn mal das Temperament mit ihnen durchgeht, dann reagieren sie wie ein tropisches Gewitter, und da geht man in Deckung. Die Gewitter sind kurz und heftig, aber gleich bricht wieder die Sonne durch.

Schon 1492 beschreibt Kolumbus die Arawaken und Taino-Indianer – die Ureinwohner Haitis – als „Menschen von unglaublicher Freigiebigkeit. Wenn man um etwas bittet, sagen sie nie nein, sondern fordern einen ausdrücklich auf, es anzunehmen und zeigen dabei soviel Liebenswürdigkeit, als würden sie einem ihr Herz schenken.“

Wie ist das Verhältnis zwischen den Einheimischen und dem „reichen Ausländer“? Freuden, Komplikationen.. im Zusammenleben?

Das Verständnis zwischen exotischen Einheimischen mit ihrer ganz anderen Kultur und den reichen Ausländern ist an einem kleinen Ort, besonders wenn man die Entscheidungsträger und Politiker betrachtet. In Gruppen und Familien die hier zusammenleben ist das schon besser, weiß doch jeder dass man aufeinander angewiesen ist. Gegenüber Fremden und besonders Profiteuren gilt oft Hass, Diebstahl und Feindschaft. Denn leider ist die Mentalität der Kolonisatoren und Profiteure noch heute weit verbreitet.

Wenn man einmal aufgenommen ist und zu ihrer Familie zählt, tun sie aber alles für dich, teilen alles mit dir, und du bist nirgends sicherer.

In den 20 Jahren in Haiti hast du u.a. Geld gesammelt; welche Hilfsprojekte hast du damit unterstützt in Haiti?

SOS Enfants Haiti war eine Schule für die ausgesuchten Ärmsten, deren Eltern viele Kinder, keine Arbeit hatten und kein Schulgeld bezahlen konnten. Die gegen 400 Kinder erhielten in der Schule auch medizinische Betreuung und täglich eine warme Mahlzeit. Ich habe mehrmals gesammelte Beträge zu SOS Enfants Haiti nach Jacmel gebracht, jedesmal zur Verwirklichung eines bestimmten Projektes z.B. einer Schulküche oder Dusche und WC-Anlage.

Ich unterstützte auch Schulen und Organisationen mit Ideen und Artikeln, denn Sammeln ist ein Fass ohne Boden. Und gute Samen können nur keimen, wenn sie auf fruchtbaren Boden fallen.

Ich war Mitgründer von ANAED (Aide NAtionale pour les Enfants Démunis), einer Selbsthilfe-Organisation von jungen Haitianern, welche junge Leute zur Bildung wilder Schulen im ganzen Land aufmuntern und unterstützen wollte. Sie hatten auch keine Mittel, aber sie wollten doch manchem Mut machen, etwas zu tun. Selbst ohne Geld.

Beide Hilfswerke bestehen nicht mehr, alle Dokumente sind verschwunden, und für die einst beteiligten Menschen ist das Schlimmste zu befürchten. Nach meiner Rückkehr werde ich erst auf die Suche gehen.

Erdbeben: Viele Tiere spüren sowas im Voraus. Menschen?

Tiere haben noch ein Gespür für Natur, die Menschen nur ausnahmsweise. Sie spüren kleinste Vibrationen die manchmal vor einem Erdbeben erfolgen. Meine Deutsche Schäferhündin Ata hatte ihren Stammplatz auf dem Dach unseres Hauses, weil sich hier Diebe schon an Glasfaserkabeln und Satellitenschüsseln zu schaffen gemacht hatten. Sekundenbruchteile vor dem Einsturz meines Hauses soll Ata vom Dach gesprungen und in panischer Angst davongerast sein. Man sagt hier, dass Schlangen Minuten vor einem Beben den Platz verlassen würden. In China werden Meldungen über atypisches Verhalten von Tieren gesammelt und führten schon zu Erdbebenalarmen, womit schlimmere Schäden vermieden werden konnten. Wissenschaftlich aber ist nichts gesichert.

Welches waren die ersten Gedanken während des Jahrtausendbebens?

„Ich lebe, das Leben erhalten, raus aus den Mauern, ins Freie stürzen“, da blieb ich denn auch zehn Tage. Den Laptop und mein Täschli nahm ich mit – denn da drin hatte ich schon immer das Wichtigste: Pass, Schlüssel, ein paar Karten – leider zu wenig Geld…

Welche körperlichen Reaktionen löst solch ein Schock aus?

Man vibriert weiter, wobei ich nicht zwischen physisch – reale Nachbeben die Wochen- und monatelang andauern können – und psychisch – Trauma und Schock unterscheiden kann. Beides wirkt auch in Santo Domingo noch nach. Ich fahre auch bei jedem Geräusch zusammen, man ist schreckhaft. Und jedesmal Angst, das Erlebte könnte sich wiederholen. Angst, ein für mich neues Gefühl, war ich doch immer stolz darauf, bei meinen tausend früheren Abenteuern nie Angst gekannt zu haben. Das ist jetzt anders.

„Die Stimmung war unbeschreiblich, schaurig, traurig, und doch irgendwie schön. Man hörte und spürte, dass die ganze Welt hier war, am Helfen war.“ Welche motivierenden Erlebnisse gab es rund um das Erdbeben?

Ja es gab auch Motivierendes, Hoch Motivierendes sogar, in all den Toten. Das waren die akustischen Erlebnisse, die jeden Tag wechselten. Die Gesänge, die Gebete, die Leute die ihre Anliegen mit Megaphonen in die Nacht hinaus schrien. Aber vor allem die Liebe und die Hilfsbereitschaft der Menschen. Melissa, die mir nach der zweiten Nacht die ich mit meiner Arthritis auf den harten kantigen Steinen kaum überlebte ein Metallbett und eine Matratze auftrieb und dabei einen Finger opferte, Mama Marie eine greise Nachbarin die ich bisher unabsichtlich übersehen und nie gegrüßt hatte und die sich jetzt rührend um mich kümmerte, Tag und Nacht, und mich nachts immer wieder zudeckte und zärtlich streichelte, oder Exumé der Pflanzendoktor der mit seinen 108 Jahren noch auf Bäume klettert um Kräuter zu sammeln, und all die Unerwähnten. Ich müsste nochmals Kolumbus zitieren, wie oben – nur dass der leider stilbrüchig und zum Völkermörder wurde.

„Gesänge erklangen auch von benachbarten Nestern und ließen auf die jeweiligen Religionen schließen. Was noch lebte, wurde zur Kirche. Und sang.“ Wird man „religiös“ (als ungläubiger Europäer), anlässlich einer Katastrophe wie dieser? Was macht es aus?

Herrgott, stellst du schwierige Fragen. Wobei „Herrgott“ hier keineswegs religiös gemeint war sondern „ungläubig europäisch“ eine reine Floskel des Erstaunens war. Es gibt eben viele Interpretationen für dieses Wort. Vielleicht geht man nach „einer Katastrophe wie dieser“ nochmals über die Bücher, aber was das bringt ist vielleicht noch offener als es vorher schon war.

Auch viele Verhaltensmuster gewisser Religionen sind revisionsbedürftig, nachdem bei Ausbruch des Bebens so viele Pfarrer in die Kirchen eilten um zu beten, unter den dort einstürzenden Decken aber den sicheren Tod fanden.

Als Junger hätte ich auch gerne mehr gewusst über die großen Sinnfragen, zu denen mir die Religionen keine plausible Antworten boten. Ich habe auch nie erfahren, wie mein Vater darüber dachte. Vielleicht hatte er recht zu sagen, „über Religion spricht man nicht. Jeder darf dazu denken, was er will.“

Gingst du zurück ins Haus, um nach Gegenständen zu suchen? Oder war das eh zu frustrierend?

Ich ging nicht zurück, nicht wegen der Frustration, und trotz meines Glaubens, vielleicht hätte Ata ein Duftmolekül von mir oder einen Ton meiner Stimme aufgefangen und wäre gekommen. Und dann gab es ja wirklich noch Dinge, die wichtig waren. Zum Beispiel sämtliche Adressen meiner Freunde oder sämtliche Codes, vor allem der Bank. Aber es lagen Mauern von Toten an den Straßen, der Geruch war unbeschreiblich, höchste Seuchengefahr, die Straßen voller Spalten und die Schießereien der Ausbrecher andauernd. Man KONNTE nicht gehen.

Die Geräuschkulisse rund um die Katastrophe war sicher unbeschreiblich; war die eher beängstigend, hoffnungsvoll..oder..?

Gemischt. Schreie der Verletzten, der Kinder, der Trauernden und Verlierenden. Dann die Gebete und Gesänge der Überlebenden, der Trostsuchenden, der Zusammengefundenen in den „Zelten“. Einige schrien ihre Gebete sogar ins Megaphon. Unbeschreiblich, eindrucksvoll.

Kann man solch ein Trauma überhaupt vollumfänglich wahrnehmen und verarbeiten?
Hilft dir dabei das Schreiben und Sprechen über das Erlebte – oder belastet dich das eher?

Wie ich das Trauma verarbeite, weiß ich noch nicht – es braucht wohl sehr viel Zeit. Und nach der Rückkehr im Mai wird es nochmals aufleben. Die Frage lässt sich erst langfristig beantworten.

Das Schreiben hilft mir, und es führt zu zahlreichen Wiederbelebungen alter und zur Bildung neuer Kontakte, und das ist positiv.

Deine Arbeiten auf swissfot- haben die nun eine andere Bedeutung, wo alle greifbaren Erinnerungen verschüttet sind?

Die Erdbebenthematik wird die weiteren Arbeiten für länger beeinflussen. Ich weiß noch nicht, wie meine zukünftige Bleibe aussehen wird, und wann es überhaupt wieder eine solche gibt. Aber ich versuche bestimmt, möglichst rasch wieder in die Normalität zurückzufinden.

Am 5. Mai wirst du wieder abfliegen, um dein Haus neu aufzubauen. Warum? Wäre es nicht einfacher, in der Schweiz zu bleiben und den Lebensabend zu genießen?

Ich bin aus der Schweiz auch wegen des Klimas ausgezogen. Das ist nicht wärmer geworden, wie ich gerade jetzt feststelle. Zudem habe ich nie die einfachsten Lösungen gesucht, sondern die besten, und weder an den Lebensabend noch ans Genießen mag ich schon denken.

Ich finde auch heute noch Vorbilder. Eines davon ist der US-amerikanische Abenteuer- und Filmschriftsteller Max Hardberger, der als Kapitän Schiffe nach Haiti führt, Pilot ist und ein ähnlich schillernder Vogel ist wie ich. Wir haben uns gerade gestern gemailt; er wird den Schrecken zum Trotz nach Haiti auswandern und in Miragoâne ein Haus bauen um dort zu wohnen. im Gegensatz zu mir wird er schon Mitte März dort eintreffen, und zwei Monate später werden wir uns treffen.


Denn am 8.Mai werde auch ich wieder in Haiti eintreffen und suchen, wer von meinen anderen Freunden noch lebt. Wir werden uns nötig haben. Ich hoffe, dass die Erde dann endlich ausgebebt hat, die größten Gefahren für das Leben, Schießereien und Seuchen, vorüber sind und dass ich wieder Positives über die Neuentwicklung Haitis berichten kann.

Die Schulen im Land sind eingestürzt. Mindestens ein Schuljahr ist für alle verloren. Was hilft es, wenn alle den Kopf in den Sand stecken? Haiti muss wieder bei Null beginnen, wie ich mit meinem Haus. Und ich werde wieder darüber berichten.

Unterstützt du Freunde beim Wiederaufbau ihrer Häuser? Inwiefern?

Die noch bestehenden Häuser müssen vorerst auf Baufälligkeit untersucht und je nach Befund repariert oder abgerissen werden, dabei kann ich vielleicht Ideelle Unterstützung bieten, finanzielle liegt kaum drin, da meine Mittel für mich selbst nicht ausreichen. Ich benötige Wasser, Strom, Computer- und Satellitentechnik und ein Haus. Und in der Schweiz verfüge ich über keine Häuser mehr zum Verkaufen wie damals.

Was würdest Du mit den vielen Spendengeldern machen, falls du welche erhalten würdest?

Nichts anderes als was ich jetzt mache, auch ohne Spendengelder: sparen für ein kleines, einsturzsicheres Dach über dem Kopf, für mich, meine Familie und meine obdachlos gewordenen Freunde und Mitarbeiter, die versorgen mich immer auch mit Nahrung und Wasser, sodass ich das vergessen kann. Für mich selber muss noch Strom, Computer und Internetverbindung drin liegen, das einzige was leider schwierig und kostspielig ist.

Und, hat dieses Erdbeben in/bei/dir persönlich etwas verändert ?

Ich bin noch nachdenklicher geworden. Es wird lange dauern, bis ich wieder zu Humor und ansteckender Lebensfreude zurückfinden kann. Aber ich werde es schaffen.

Welche Ratschläge gibst du den heutigen Jugendlichen mit auf den Weg?

Stets daran denken, dass es überall eine Sonnen- UND eine Schattenseite gibt. Also von allem die Vorteile suchen, was anders ist als es „soll“, und was man daraus lernen kann. Sich durch Rückschläge nicht entmutigen lassen. Ein Ziel ein paar Jahre lang verfolgen und versuchen, dabei der Beste zu sein. Danach eine Weile lang Abstand gewinnen, z.B. die Welt bereisen und fremde Kulturen kennen lernen, Vorurteile erkennen und abbauen. Seine Werte immer wieder überprüfen und nötigenfalls anpassen. Auf gleiche Weise auch einen ganz anderen, zweiten und einen dritten Beruf erlernen. Die Grundsätze bleiben die gleichen.

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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