Meine Geckos in Haiti

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Datum: 15. Dezember 2009
Uhrzeit: 16:56 Uhr
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Autor: Otto Hegnauer
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

Gecko-1Ich steige nach Sonnenuntergang hinauf in mein Türmchen, sehe noch einmal aufs Meer und die Schiffe hinaus und gehe mit den Hühnern ins Bett. Aber nicht zum Schlafen, ich habe da noch anderes zu tun. ich schlafe nur wenn ich müde bin. Oft bin ich das noch nicht. Dann mache ich Licht, Strom habe ich aus Solarpanels, Batterien und dem Inverter genug. Die Sonne brannte ja während des ganzen Tages und produzierte.

Ich mache Licht für die drei Geckos, die sind meine Zimmergenossen. Sie kommen aus ihren Tagesverstecken hervor und setzen sich an die Decke. Sie wird durch meine Ständerlampe grell beleuchtet und zieht Falter und andere Insekten an. Dieses Getier wird so nicht nur von meiner darunterliegenden „Biosphäre“ abgezogen, sondern der Tisch für meine Geckos deckt sich von selbst. Auch der Computer steht neben dem Bett, immer einsatzbereit, aber der kann mir jetzt gestohlen werden. Geckos beobachten ist doch spannender als Computerarbeit.

Mindestens zwei davon kommen mit Bestimmtheit und unterhalten mich, packender als jedes Buch. Ich beobachte sie eine Zeitlang, manchmal auch stundenlang, bis ich einschlafe. Ein großer, etwa 15 cm lang, und ein kleinerer, von 10 cm. Vielleicht Männchen und Weibchen, sie nähern sich oft, sogar bis zur Berührung, aber sie mögen sich nicht – es scheint eine Hassliebe. Der Große verjagt dann Kleinen, mit einer blitzschnellen Gebärde, zu schnell um zu erkennen was er tut. Ob er beißt, pufft oder stößt ich sehe es nicht. Beleidigt zieht sich der Kleine für einige Zeit zurück, ein paar Dezimeter, manchmal auch Meter. Es soll bei den Menschen Ähnliches geben.

Geckos sind alte Tiere; es gibt sie seit 50 Millionen Jahren auf der Erde. Sie sind in den Tropen und in den Wüsten der Erde anzutreffen. Die Echsen können 40 cm groß werden. Ausgestorbene Arten erreichten sogar 60-70 cm. Sie können dank perfekter Adhäsion, durch ihre mit Billionen feinster Härchen besetzten Füße sogar kopfüber an Scheiben laufen. Die Haftkraft von vier Geckofüßen reicht zusammen aus, um 140 Kilogramm zu halten! Die Haftfähigkeit wird durch Feuchtigkeit noch gesteigert. Einige Arten sind sogar zum Segelflug befähigt.

Meine Geckos spazieren oder trippeln elegant, manchmal tänzelnd unter der Decke umher, oder sie schlängeln sich flink und zierlich durch ihr Revier. Sie pirschen geduckt Insekten an, rennen ihnen nach und schnellen vor. Ihre Füßchen lösen sich bei jedem Schritt leicht und mühelos vom Untergrund. Wenn sie den Winkel ihrer Fusshärchen ändern, wird Bindung gelöst und die Echse kann ohne Kraftaufwand den Fuß von der Oberfläche nehmen. Ähnlich wie bei Klebestreifen.

Geckofüße müssen äußerst sauber bleiben. Sie verfügen deshalb über einen Selbstreinigungsapparat. Kein Stäubchen bleibt kleben, gleichgültig wie fein es ist. Die Tiere stapfen sauberen Fußes unter der Decke umher. Ihre Fußbehaarung ist ein selbstreinigendes Haftmittel. Forscher (Hansen und Autumn, USA) tauchten Geckofüßchen in Haftstoffe und nahmen die Fußabdrücke von einer Glasplatte. So fanden sie heraus, dass die Geckos schon nach ein paar Schritten wieder saubere Füße hatten und erneut in der Lage waren, glatte Oberflächen hinaufzuklettern. Die Forscher berechneten, dass die Anziehungskräfte zwischen dem Schmutz und den Härchen geringer ist als die zwischen der Oberfläche und dem Schmutz. Der so entdeckte Gecko-Effekt kann auch aufzeigen, dass an etwas, das stark haftet, nicht unbedingt alles kleben bleibt.

Drollig, den possierlichen Tierchen zuzuschauen. Oft bleiben sie während Sekunden unbeweglich an der Decke, lassen Insekten herankommen und schwupp, mit einem blitzartigen Vorschnellen haben sie sie im Mund. Oder sie schleichen sich langsam, geduckt an ein Opfer an, ein Pfötchen nach dem andern vorwärts schiebend, und schwupp – wieder das blitzschnelle Vorschnellen des Kopfes, und nur noch Ränder der Falterflügel schauen aus dem Maul der Echse. Oder der Gecko klebt regungslos an Ort und lässt vergessen, dass hier Gefahr lebt – die Insekten nehmen ihn nicht wahr und spazieren vorbei, und plötzlich, wenn ein Leckerbissen in Greifnähe kommt, das Zucken nach vorn, und die aus dem Maul hervorragenden Reste. Die Geckos rennen laufenden und sogar fliegenden Insekten auch nach, über viele Meter, unter der Decke, oder wand auf und wand ab, und – mit Erfolg ! Manchmal verfolgen sie eine Beute bis hinunter auf Tischhöhe, nähern sich meiner Hand oder spazieren über den Computer. Einmal trippelte der Große sogar über den Bildschirm meines Notebooks, und etwas Flacheres gibt es kaum mehr.

Bei ihrem Speisezettel sind meine Geckos sehr wählerisch. Die Feinschmecker machen sich an vermeintliche Opfer heran, halten in „Zustossdistanz“ eine Sekunde lang inne und tänzeln wieder davon, ohne zugestoßen zu haben. Sie erkennen und meiden Speisen, die hart oder giftig sind oder nicht munden. Auch pirschen sie sich gelegentlich an leblose Objekte wie Farbflecken heran und erkennen erst aus Zentimeternähe, dass das nichts zum Fressen ist. Dass sie diesbezüglich nicht lernfähig sind, erkenne ich daran, dass die Geckos den gleichen Fleck an meiner Zimmerdecke immer wieder anpirschen, oft mehrmals in derselben Nacht. Da kommen mir ähnliche Beobachtungen mit Hunden in den Sinn, die beim nächtlichen Spaziergang bellend denselben Pfosten in einer Wiese angriffen, ein paar Meter vor dem Angriffsziel merkten, dass das Ding uninteressant war und dann Verlegenheitsreaktionen zeigten, etwa unter merkwürdigen Lauten einigemal vor dem Hindernis umherliefen und mich anschauten, so wie wenn sie sich schämen würden.

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Doch zurück zu meinen Geckos. Sie sind auch in den Lage- und Verhaltensformen einfallsreich. Der zierliche Schwanz liegt oft nicht nur elegant gebogen neben dem Rumpf, sondern wird auch selbständig bewegt, ähnlich dem Wedeln eines Hundes. Er kann auch langsam schraubend gewunden werden, drückt das vielleicht Spannung aus, wie etwa bei Säugetieren?

Am meisten erstaunt mich das Springen nach Beutetieren. Sowohl an der Decke wie an den Wänden kommt es vor, dass die Geckos einem Insekt nachspringen, manchmal Weitsprünge mit mehr als Köperlänge, und umgekehrte „Hochsprünge“ nach der Tiefe und zurück nach oben, an die Decke. Müsste man von „Tiefsprüngen“ sprechen? So befinden sie sich einen Momentlang kontaktlos in der Luft und müssten nach Adam Riese infolge der Schwerkraft rücklings nach hinten und unten fallen. Das geschieht aber nicht, sondern sie steigen wieder aufwärts und landen oben an der Decke. Schwerkraft ist ihnen egal! Da genügen Erklärungen wie Van-der-Waals-Kräfte, Adhäsion und Saugnäpfe nicht mehr. Für mich ist das eines der unbegreiflichsten Wunder und widerspricht allem, was man mal in der Physik gelernt hat.

Geckos sind Nachttiere. Es scheint, dass sie noch andere Wahrnehmungssinne haben als die Augen. Denn im Dunkeln verhalten und bewegen sie sich genau gleich. Wenn ich das Licht andrehe, lösche oder sie gar mit dem Scheinwerfer anleuchte, reagieren sie keineswegs. Das Licht scheint einzig Wirkung auf die Insekten zu haben, die ich damit anziehen kann, später kommen so auch die Geckos. Wenn ich dann für einige Zeit das Licht lösche, sind die Insekten immer noch da, und die Geckos fahren im Dunkeln unbeirrt mit ihrer Arbeit fort.

Ein einziges mal habe ich einen Absturz beobachtet. Es war eine besonders warme Nacht, es hatte besonders viele Insekten, die Geckos sind ja wechselwarm und waren deshalb besonders lebendig, führten besonders viele und besonders kühne Sprünge aus. So kühn, dass ich in jener Nacht sogar einen Absturz voraussah, im Gegensatz zum Gecko. Als nämlich ein Insekt nach unten wegflog, versuchte ihm der Große nachzuspringen, offenbar zu weit, und stürzte. Gegen drei Meter tiefer prallte er auf dem harten Pättliboden auf, mit dumpfem Knall. Ich hatte Angst, das Tierchen hätte sich verletzt, und tatsächlich habe ich es drei Abende vermisst. Vielleicht musste eine Verletzung heilen, oder es hat sich vor Schreck versteckt. Mir schien auch, seitdem habe das Tier auf Sprünge verzichtet. Also doch lernfähig ?

Tiere habe ich immer geliebt, beobachtet und bewundert. In meiner Jugend holte ich sie herein, in Aquarien, Aquaterrarien, Terrarien, und wie die Dinger heißen. Ich baute solche selber, oft in Riesengröße, meine Eltern hatten sich daran gewöhnt. Schlangen, Vogelspinnen, Skorpione und anderes habe ich reingeholt, die Fütterungen waren nicht immer leicht. Freunde in tropischen Ländern haben mir das Getier geschickt, und ich habe auch Spezialgeschäfte gefunden, dort konnte man sie kaufen. Etwa in der Molino Maggia, damals ein Schlangenpark. Später habe ich die Tiere in Freiheit gesucht, beobachtet, abgelichtet und gefilmt. So in Afrika, wohin ich es rund 80mal gebracht habe. Und jetzt gehen mir Jugendträume in Erfüllung. Die Tiere kommen zu mir, sie sind in Freiheit, sie füttern sich selbst, sie bewegen sich so frei und schön wie nirgendwo vorher, und ich kann sie vom Bett aus beobachten und sogar fotografieren, wie jetzt. Bis ich darob einschlafe und vielleicht von ihnen weiterträume…

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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