Streik und Proteste in Kolumbien: Etwas anderes ist möglich

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Datum: 02. September 2013
Uhrzeit: 07:10 Uhr
Ressorts: Leserberichte
Leserecho: 2 Kommentare
Autor: Redaktion
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Der landesweite Streik in Kolumbien weist auf die missliche Lage der Landwirte hin. Zwischen Demonstranten und Polizei kommt es dabei zu gewaltvollen Auseinandersetzungen. Doch die geschlossenen Proteste geben auch Anlass zur Hoffnung: Sie könnten der erste Schritt hin zu einem geeinten, friedlichen Kolumbien sein.

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Das ist ein historischer Moment“ ruft der junge Mann in Ruanda – den traditionellen Ponchos der kolumbianischen Bauern – ins Mikrofon. Polizisten und Demonstrierende geben sich die Hände. Einige der Protestierenden umarmen die unbeweglichen schwarzen Gestalten. Diese rühren sich nicht. Doch wer nah genug steht sieht das Lächeln in ihren Gesichtern.

Die Demonstration durchquerte seit dem frühen Nachmittag Bogotá und kam gemeinsam mit der Abenddämmerung auf der Plaza Bolivar im Zentrum der Stadt an. Vor dem Kongress sammelten sich die Demonstranten mit allem was Krach macht: Töpfe, Pfannen, Tröten – und es wäre keine kolumbianischer Protest, wären mit Claves, Cencerro (Kuhglocke), Trommeln und Bongos nicht auch die Instrumente einer Salsa-Combo versammelt. Vor den Stufen zum Kongress, direkt vor den sich angespannt aufgebauten Polizisten findet sich ein improvisiertes Orchester zusammen. Die Sondereinheit für Demonstrationen, die sogenannte „Mobile Terroreinheit“ ESMAD, wirken in ihren schwarzen Anzügen unmenschlich. Die Schutzschilder, Schlagstöcke und Waffen zeigen, dass sie dafür ausgestattet sind Demonstrationen auch gewaltsam niederzuschlagen. „Normalerweise endet das im völligen Chaos – alle rennen, schreien und die da schlagen auf uns ein“ erzählt mir der 21jährige Kunststudent Edward und blickt mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Begeisterung auf das bunte, lärmige, vollkommen friedliche Bild vor unseren Augen.

Ein geeintes Land geht auf die Straße

Seit dem 19. August finden in Kolumbien landesweite Streiks statt. Hunderttausenden Menschen fordern grundlegende Veränderungen in der Wirtschafts – und Agrarpolitik. Dem Aufstand der Bauern schließen sich mit jedem Tag mehr gesellschaftliche Sektoren an: Längst sich auch Lehrer und Studierende, Bergleute, Ärzte, etliche indigene Gruppen und viele andere Bürger Teil der Protesten. Sie sind „es leid, seit Jahrzehnten Politiken zu ertragen, die gegen die Bedürfnisse der großen Mehrheit des Volkes gerichtet sind“ heißt es in einer Erklärung zum Streik.

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Auf den Schildern und in den Chören der Protestierenden herrscht Einigkeit: „Wir sind alle Bauern“ rufen sie und erinnern an die landwirtschaftliche Tradition und Kultur Kolumbiens. Noch heute sind rund ein Fünftel der Kolumbianer, die einer Arbeit nachgehen, in der Landwirtschaft beschäftigt. Doch dieser für das Land so wichtige Sektor leidet seit Jahrzehnten unter der Vernachlässigung der Politik. Während in Kolumbien die Armut generell zurückgeht, steigt sie auf dem Land. Rasant steigende Kosten und sinkende Gewinne führen dazu, dass zwei von drei Landarbeitern weniger als den Mindestlohn verdienen. Nach den Protesten im vergangenen März wurden Reformen und Unterstützung versprochen. Umgesetzt wurde davon kaum etwas. Daher gehen die enttäuschten und empörten Kolumbianer nun erneut auf die Straße und fordern ein Ende der neoliberalen Politik und die Aufkündigung der Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union und den USA. Die Bauern beklagen, dass die Importe es ihnen unmöglich machen mit ihren Erzeugnissen Gewinne zu erzielen und protestieren insbesondere gegen das „Gesetz über Samen“ welches sie dazu zwingt das –oft genmanipulierte – Saatgut großer Konzerne zu kaufen.

Ein Streik, zwei Darstellungen

Mittlerweile haben die Proteste das halbe Land lahmgelegt. Die Demonstranten blockieren die Verbindungsstraße zwischen Bogotá und den Verwaltungsbezirken Boyacá und Cundinamarca, sowie 30 weitere zentrale Straßen im ganzen Land. Sogar in der sonst in ihrer eigenen Welt lebenden Hauptstadt Bogotá sind die Proteste angekommen, die Straßen gesperrt, die öffentlichen Schulen sowie Universitäten vorübergehend geschlossen und viele Läden machen früh zu oder gar nicht erst auf.

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Wer inmitten der lärmenden Kundgebungen zwischen Menschen aller Altersklassen und sozialer Schichten steht, hat das Gefühl Kolumbien noch nie so vereint gesehen zu haben. Dennoch hat der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos noch am Sonntagmorgen verkündet: „Dieser Agrar-Streik existiert nicht.“ Auch wenn er diese Äußerung bereits am Abend zurücknehmen musste und mittlerweile mit den Landwirten Verhandlungen aufgenommen hat, wird der Streik von Regierung und Medien heruntergespielt. Die Massenmedien berichten entweder gar nicht oder verzerrt von den landesweiten Kundgebungen. Die hunderttausend protestierenden Bürger werden entweder ignoriert oder als „Vandale und Störenfriede“ abgetan. Während die Nachrichten verletzte Polizisten zeigen, offenbaren die sozialen Netzwerke eine andere Realität: In rasendem Tempo werden Fotos und Videos der Proteste verbreitet, die die das aggressive Vorgehen der ESMAD gegen die zumeist friedlichen Demonstranten zeigen. Die Polizisten dringen in die Häuser der überrumpelten Bauernfamilien ein, prügeln auf Demonstranten ein und gehen mit aller Härte gegen Senioren, Frauen und Kinder vor. Allein in Bogotá kam es bei den bislang größten Protesten am vergangenen Donnerstag nach offiziellen Angaben zu einem Toten und über 200 Verletzten. Die Schätzungen der NGOs liegen weit höher.

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  1. 1
    Andre

    Sehr gut geschriebener Artikel (Glückwunsch dafür an Lara und auch Jose Luis!), bleibt wirklich nur zu hoffen, dass diese „gemeinsame Vision“ stark genug ist, um tatsächlich bis in Regierungskreise durchzudringen und die Menschen auf den Strassen diesmal etwas Nachhaltiges erreichen. Nicht nur für sich sondern auch für dieses sonst so wunderbare Land.

  2. 2
    peter

    ja, dieses land muss man lieben. warum auch, ich weiss es nicht genau.
    es war im märz meine 12. reise in das land und immer wieder ist es anders.
    wer noch nicht dort war, sollte es tun.
    und keine angst, sie tun dir nichts.
    alles gute den menschen dort.

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