Haiti: Warum versagt die Welt?

Trümmerwerte

Datum: 17. Oktober 2011
Uhrzeit: 19:24 Uhr
Leserecho: 1 Kommentar
Autor: Otto Hegnauer
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Noch immer liegt Haïti unter Trümmern, die Welt hat versagt. Aber warum erwartet man in Haïti alles von ihr, wenn sie nicht einmal fähig ist, sich selber über die Runden zu bringen? Ich habe es oft gesagt, die Welt kennt nur Waffen und Geld. Mit Waffen will sie in Haïti „Ordnung“ erzwingen, bringt in Wirklichkeit Kugel- und Choleratod, mit Geld scheffelt sie die Käuflichen, die für dieses „Gut“ alles tun. Schon ein Clinton hat dies gewusst und 1994 den Haïti-Soldaten Geld für ihre Waffen angeboten und in der Folge das Land unblutig besetzt. Zuhause gehen die Menschen scheint’s jetzt sogar auf die Strasse gegen die Banken, hat vielleicht etwas mit Wertewandel zu tun?

Die Welt-Soldaten sprechen die Sprache der Gewehre, sie haben nichts anderes gelernt. Mangels einer gemeinsamen Sprache sprechen sie mit Mund und Stimme an sich wenig, im babylonischen Wirrwar der meist unbekannten Sprachen ihrer Herkunftsländer. Die Sprache der Menschen die sie befrieden sollen, Französisch oder gar Kréol, kennen sie überhaupt nicht. So können sie bei bestem Willen auch nicht zusammensitzen, gemeinsam entwickeln, diskutieren und diese Schleife ausgiebig wiederholen.

Für die Ohren bieten sie nur das Knattern der Maschinengewehre und der wackligen Heliflügel, für die Augen das Blau ihrer Helme, für die Nase das Gas und für den Gaumen vermutlich Militärkonserven, damit kann man mindestens überleben.

Von Gefühlen kennen sie nur Zittern und Angst. An Lebenskraft, Freude, Hüpfen und Tanzen, Jauchzen und Singen glotzen sie vorbei. Dass der Himmel nicht nur grau, sondern manchmal auch tiefblau ist, dass die Orchideen betörend duften können und die kreolischen Gerichte den Speichel im Mund austreten lassen, gewahren sie nicht. Dies hängt nur teilweise mit dem Speisezettel nach Dienstgrad zusammen.

Die UNO hat das Mandat ihrer hilf- und planlosen Blauhelme verlängert, doch sie sind es, die versagt haben. Die hilf-, plan- und führungslos im Dunkeln tappen. Ihre Konzepte im Geschichtsbuch suchen, wie die Studenten, die zu meiner Arbeitszeit manchmal ins Praktikum kamen. Sie haben stets zuerst im Geschichtsbuch gesucht, was einstige Spitzenreiter wohl angestellt hätten. So lernte man das halt an der Uni, ich habe sie unverzüglich an die Front geschickt, die sollen die Probleme studieren, dann die geeigneten Partner suchen zum Diskutieren und dann handeln. Unter stetiger Beobachtung und Neudiskussion.

Im Militär ging das nicht und geht das heute noch nicht, da heisst es „Gehorchen“ und die Befehle kommen von oben. „Oben“ weiss immer Bescheid und ist unfehlbar. Der erste MINUSTAH-General hatte sich aber umgebracht. Das brachte auch keine Lösung.

Ich zitiere die „Süddeutsche“: „Einst empfahl der damalige Präsident Préval den UN, Haïti brauche Traktoren statt Panzer. Jedenfalls wären Techniker wichtiger als Soldaten, auch wenn es ohne Sicherheit natürlich nicht geht. Prévals Nachfolger Martelly möchte die 1995 aufgelösten Streitkräfte wieder aufbauen, doch das ist reiner Unsinn. Haïti wird nicht von außen bedroht.“ Ganz meine Meinung. Aber Martelly braucht die Süddeutsche, um das zu sagen, doch die versteht er ja auch nicht.

Die Politiker und Gönner des Landes sollten dafür sorgen, dass die haïtianische Polizei professionell wird, um ohne UN für Ordnung sorgen zu können. Krankenhäuser, Schulen und Wohnungen müssen gebaut, Arbeitsplätze geschaffen werden. Immerhin hatte Präsident Martelly die Idee, Gespräche mit den Heimkehrern Aristide und Jean Claude Duvalier zu führen, dem früheren Volkstribun und ehemaligen Diktator. Das mag ein Anfang sein. Aber der Regierungschef, die UN und alle Haïti-Unterstützer müssen sich MEHR einfallen lassen.“

Es sind nicht die Haïtianer und nicht die Blauhelme, nicht die Helfer und nicht die ONGs, es sind die Staaten, die nicht Wort gehalten haben, es ist die Welt und ihre Organisation, die chaotisch, zerstritten und führungslos ist, falschen Werten nachläuft und bodenlos versagt hat. All die Führer und Denker an den Spitzen- wo sind sie? Wer hat sie gewählt und warum? Warum versagt die ganze Welt? Weil ihre Führer die falsche (oder keine?) Ausbildung haben. Und demzufolge die falschen Werte.

Nur – diese Binsenwahrheiten helfen Haïti und der Welt auch nicht weiter.

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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Kommentarbereich

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  1. 1
    Peter

    Hilf Dir selbst, Dann hilft Dir Gott !!!

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