Die ersten Wirbelstürme umtosen die Insel, drei gefährliche rote Doppelkommata mit den unverfänglichen Namen Karl im Westen, Igor und Julia im Osten liegen zur Zeit genau auf der Ost-westlichen Schusslinie, und im Moment müssen 1300 Zeltlager aus Sicherheitsgründen geräumt werden. Über einer Million von Menschen um die Prinzenstadt harrt dasselbe Schicksal, sie bangen und demonstrieren und zittern und wissen nicht wohin, wissen nicht wo sie morgen sind. Sie möchten am liebsten weg von der Insel.
Während Behörden, Blauhelme und NGO’s auf alles gefasst sind, drohen gewisse Landbesitzer die Gelegenheit auszunützen und die wilden Siedler gewaltsam zu vertreiben, um die Grundstücke den jeweils planmäßig vorgesehenen Nutzungen zuzuführen.
FEFE ist einer der Demonstranten, an die 40, die zu hunderten in den Ruinen agieren und den Ersatz der zerrissenen Planen fordern. „Wir sind es leid, in solchen Konditionen zu leben, in einer Steinwüste, ohne ein einziges Spital und ohne Schule für unsere Kinder.“ Sie stoßen immer wieder zu größeren oder kleineren Gruppen zusammen, halten Reden und schreien Parolen. „Ich habe im Beben meine Frau und meine Kinder verloren und bin noch allein aus der Familie, aber ich kämpfe so gut es geht für meine alte Mutter.“
Der Zorn ist so oder so schlimmer als die Unwetter die seit Anfang Mai und noch stärker seit Tagen über die Insel hinwegfegen. Am Montag riefen die Behörden orangen Alarm aus, der Sturzregen mit fast augenblicklicher Überschwemmung bedeutet. Selbst wenn unsere Insel nicht frontal getroffen werden sollte, steuern augenblicklich zwei äußerst gefährliche Sturmzentren, nämlich Julia und Igor, auf die Insel zu und können jeden Moment losschlagen.
Elvire Constant ist 39 und verantwortlich für ein Lager mit 2500 Familien. „Wir sind entschlossen, heute auf die Straßen zu gehen um die NGO’s (Nichtregierungs-Hilfsorganisationen) anzuklagen die nichts tun als zuschauen.“ – „Die NGO’s sind seit acht Monaten hier, wir sehen überhaupt nichts was sie gemacht haben“ erklärt eine junge Frau. „Wann wird man endlich aus dieser Situation herauskommen?“ fragt sie verzweifelt und zeigt mit dem Finger auf das Lager Caradeux, wo sie schon viele Monate lang wohnt.
Caradeux wurde wie viele andere Lager auf einem Privatgrundstück aufgebaut und sein Besitzer möchte produktive Projekte beginnen und die Besetzer vertreiben. Eine Menschenrechtskommission hat etliche der 1300 Lager besucht und die Lebensbedingungen der Vertriebenen stark angeprangert.
„Ich fordere erneut ein Moratorium für die Vertreibungen der provisorischen Bewohner privater Grundstücke“, sagt UNO-Experte Michel Forst. „Dies mindestens solange eine nationale Strategie der gegenwärtigen Regierung fehlt.“ Seit nunmehr acht Monaten sind die Hauptstraßen der Stadt noch unpassierbar unter Schutt den wegzuschaffen laut Expertenberichten zehn Jahre beansprucht. Gemäß den Anwohnern ist überhaupt nichts neu aufgebaut. „Wer weiss wann man endlich in ein normales Leben aufbrechen kann“ meint Jolicoeur niedergeschlagen, der Zuflucht auf einem Fußballplatz gefunden hat.
Unterdessen gehen die Evakuierungen weiter. Die Meteorologen erwarten die Ankunft des Sturmzentrums Igor. In gewissen Zonen befürchten die Zivilschutzorgane außer Überschwemmungen auch Erdrutsche. Die Problemkreise der Nahrungs- und Wasserversorgung sowie der Hygiene scheinen in Grosso Mode für den Augenblick gelöst, wie es langfristig aussieht, ist eine völlig andere Frage. Der Problemkreis der Unterbringung ist derzeit in vollem Umbruch und hängt vorwiegend von der Entwicklung der Witterung ab. Die Präsidentenwahlen am 28. November werden wie geplant durchgeführt, die Vorbereitungen laufen programmgemäß. Ein äußerst kritischer Punkt ist die zunehmende Unsicherheit in den Lagern. Ein WC auf gelernte „hygienische“ Weise zu besuchen, ist nur tagsüber möglich, unter dem Schusskegel der vorhandenen Sicherheitskräfte. Nachts sind die auch in der „Sicherheit“, und der alte bewährte Nachttopf kommt wieder zu Ehren, diesmal halt im UNO-Zelt.
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