Neues Haiti: Sauber wie noch nie► Seite 2

Besenbrigade

Datum: 31. Juli 2011
Uhrzeit: 13:06 Uhr
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Autor: Otto Hegnauer
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

Es wird ab- und aufgeräumt, mit Bulldozern und anderen Ungetümen, aber am meisten mit Schaufeln und Stosskarren. Das gibt einige Arbeit, eine Zeitlang. Wenn die Geschäftsbauten mal fertig sind, ist’s auch mit der Arbeit fertig – für die mit Schaufeln und Stosskarren, das sind die meisten. – Den Strassen entlang begegnet man den Besenbrigaden. Zu tausenden stehen Menschen mit Besen an der Piste – diesmal keine Ausländer -, manchmal wischen sie auch singend und tanzend, den gleichen Fleck Asphalt wohl immer wieder. Alles strahlt jetzt vor Sauberkeit. Wir fragen uns, wer die Tausende wohl bezahlen wird, das ist ja Utopie. Wohl ging es dem Boss gar nicht um materielle Dinge, wie den Menschen mit den Besen, sondern um Publicity und Motivation. Ob die bleibt, wenn bei den Menschen für längere Zeit das erhoffte Geld ausbleibt, ist eine andere Frage.

Ich fantasiere, dass sich der Spiess leicht umdrehen könnte, so wie ich die Haïtis kenne: zum Beispiel aus Wut, Rache oder Not: sie könnten ja den Abfall selber wieder auf die Strassen werfen, um ihn zu Geld zu machen. Es gibt noch andere Denkspiele, aber wichtig ist, dass es im Augenblik sauber ist wie noch nie, und dass Tausende die blitzblanken Strassen wischen. NOCH sauberer, das geht gar nicht mehr.

Und sicher ist, dass das Volk nun endlich seinen geliebten Führer hat. Es ist ruhig und friedlich, jeder getraut sich wieder auf die Strasse, und dass die politischen Querelen in den obersten Etagen andauern und Premierminister und Regierung immer noch harzen, ist den meisten Menschen der Strasse schnurz und egal. Sie haben jetzt ihren Boss, und erwarten Wunder von dem.

Bevor wir am Ziel, unserer Mauer-Malerei ankommen, entdecken wir am Strassenrand ein anderes Fresko: genau das, worüber wir eben gesprochen haben. In doppelter Lebensgrösse lächelt da Boss Tet Kalé (Kahlkopf) alias Micky von der Mauer herunter, umringt von all den Erfolgssymbolen nach den Wünschen des Volkes: unter dem Titel „Nouvelle Haiti“ (Neues Haiti) einige Roboter und Himmelsgeschosse, Zahnräder und andere Ausgeburten der Technik, eine Eisenbahn wohl die Traumbahn mit Viadukt von Haiti nach Florida hinüber, städtische Bauten aus gemischten Kulturen, die Grantambou (Grosse Trommel), eine Gitarre und ein Fussball.

Wirklich nach den Wünschen des Volkes? So werden die Wünsche gemacht! Es sind genau wieder die Monsterprojekte des Neuen Haïti, die ich eben geschildert habe. Die ausgebildete Arbeitskräfte brauchen, wie sie aus dem Ausland importiert werden müssen. Die an der Armut und Arbeitslosigkeit, dem schlechten Bildungsstand und den übrigen Nöten des Landes und seiner Menschen nichts ändern, man kann die ja sterben lassen. Das braucht etwas Geduld und ist am billigsten.

In die Ecke gedrängt aber immerhin erwähnt ist der Reis- und Ackerbau und der grösste Reichtum, die einmalige Landschaft. Dies ist genau die Ecke, wo sich die Probleme lösen müssten; SIE müsste nach ganz oben rutschen, IHR würde ein geräumiger Ehrenplatz gebühren, und Technik und Raumfahrt müssten auf die kleine Ecke zusammenschrumpfen. Verstanden, Herr Martelly? Aber der versteht ja kein Deutsch …

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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