Bolsonaro ist Gefahr für Pressefreiheit und Demokratie in Brasilien

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Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Brasilien auf Platz 102 von 180 Staaten
Datum: 26. Oktober 2018
Uhrzeit: 13:37 Uhr
Leserecho: 2 Kommentare
Autor: Redaktion
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Reporter ohne Grenzen (ROG) blickt angesichts der bevorstehenden Präsidentschafts-Stichwahl alarmiert auf die Zukunft von Pressefreiheit und Demokratie in Brasilien. Klarer Favorit für die Wahl am Sonntag, 28. Oktober, ist der Rechtspopulist Jair Bolsonaro, dessen Wahlkampf in den vergangenen Wochen von Hassreden, Desinformation und Gewalt gegen Journalisten geprägt war.

„Die Attacken Bolsonaros und seiner Anhänger sind eines Präsidentschaftskandidaten unwürdig. Wenn Bolsonaro am Sonntag zum Präsidenten gewählt wird, stehen für die Pressefreiheit und damit für die Demokratie in Brasilien düstere Zeiten an”, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Bolsonaros Hass- und Desinformationskampagnen spalten die ohnehin schon polarisierte Gesellschaft im Land weiter. Wir stehen hinter den kritischen Journalisten in Brasilien und fordern, dass sie weiterhin frei und unabhängig berichten können.”

Frei über das politische Geschehen in Brasilien zu berichten wird Journalisten seit Beginn des Wahlkampfs auf vielerlei Weise erschwert. Durch permanente Hassreden offline wie online herrscht ein Klima der Aggression und Einschüchterung. Die Tageszeitung Folha de São Paulo, eine der größten Zeitungen des Landes, bezeichnete Bolsonaro am 22. Oktober in einem Video als „größte Fake-News-Quelle Brasiliens” und drohte dem Blatt: „Wenn ich gewählt werde, wird die Regierung keinerlei Anzeigen mehr bei euch schalten.”

Die Folha de São Paulo hatte am 18. Oktober über eine WhatsApp-Desinformationskampagne von Anhängern Bolsonaros berichtet. Ihm nahestehende Geschäftsleute hatten demnach den Versand von Millionen automatisierten Nachrichten finanziert, die Bolsonaros Gegenkandidaten Fernando Haddad von der Arbeiterpartei verunglimpften. Da zwei Drittel der Brasilianer ihre Nachrichten über Soziale Netzwerke beziehen und WhatsApp für 61 Prozent von Bolsonaros Wählern die bevorzugte Informationsquelle ist, ist ein immenser Einfluss dieser Kampagne zu vermuten. Das Oberste Wahlgericht des Landes Ermittlungen aufgenommen, da diese Art der Wahlkampffinanzierung in Brasilien illegal ist.

Die Autorin des Artikels, Patrícia Campos Mello, wurde von Bolsonaro-Anhängern über Soziale Medien angegriffen und bedroht. Ihr WhatsApp-Account wurde gehackt, sie und ihre Familie erhielten anonyme Drohanrufe.

Ein Manager eines zu Folha gehörenden Meinungsforschungsinstituts erhielt ebenfalls Drohungen, sowohl über Messenger als auch in seiner Wohnung. Zudem wurde eine WhatsApp-Nummer der Zeitung mit 220.000 Nachrichten geflutet, sodass Nachrichten von Lesern nicht mehr gelesen werden konnten. Am 23. Oktober ersuchte die Zeitung deshalb das Oberste Wahlgericht, die Bundespolizei anzuweisen, wegen eines möglichen „orchestrierten Versuchs, die Meinungsfreiheit zu behindern” zu ermitteln.

Die renommierte Journalistin Miriam Leitão wurde zur Zielscheibe von hunderten beleidigenden, verleumderischen und gewaltverherrlichenden Posts, nachdem sie am 5. Oktober in einem Artikel vor der Gefahr von Bolsonaros Kandidatur für die Demokratie in Brasilien gewarnt hatte.

Weitere Journalistinnen und Journalisten wurden auf ähnliche Weise attackiert, die Drohungen reichen teilweise bis in das Privatleben der Betroffenen hinein, was dazu geführt hat, dass einige Journalisten sich in den Sozialen Medien zurückhalten oder ihre Accounts nicht mehr öffentlich sichtbar machen.

Teilweise kame s auch zu körperlicher Gewalt gegenüber Journalisten: Eine Reporterin der Newsseite NE10 wurde von Bolsonaro-Anhängern tätlich angegriffen und mit Vergewaltigung bedroht. “Wenn der Kommandant erst Präsident ist, stirbt die gesamte Presse”, sagten sie ihr, als sie ihren Presseausweis sahen. Bereits im März wurde ein Bus mit 28 Journalisten von Unbekannten beschossen, verletzt wurde niemand.

Die Brasilianische Vereinigung für Investigativen Journalismus (ABRAJI) zählte bis Donnerstag, 25. Oktober, 141 Fälle von tätlichen Angriffen und Online-Attacken auf Journalisten, die im Umfeld der Wahlen stattfanden und deren Urheber aus unterschiedlichen Lagern kamen. Auch Anhänger der Arbeiterpartei sollen Reporter belästigt und geschlagen haben.

Auch wenn sich die Aggressionen in den vergangenen Monaten zuspitzten: Gewalt gegen Journalisten bis hin zu Morden ist kein neues Phänomen in Brasilien. Allein in diesem Jahr wurden bereits drei Radio-Journalisten ermordet, nachdem sie zuvor bedroht worden waren. Ein weiterer überlebte einen Mordversuch knapp. Seit 2010 wurden jedes Jahr in Brasilien mehrere Journalisten wegen oder in Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet.

Unter besonderem Druck stehen aktuell die Journalisten des Medienkonglomerats Record, das Edir Macedo gehört, einem evangelikalen Pastor und Milliardär, der Bolsonaro offen unterstützt. Der Journalistengewerkschaft von São Paulo zufolge werden sie permanent gedrängt, vorteilhaft über Bolsonaro und negativ über Haddad zu berichten.

Besonderen Einfluss auf die öffentliche Meinung üben in Brasilien einige einflussreiche Dynastien von Großgrundbesitzern aus, die sogenannten Colonels. Ihr Oligopol auf dem Medienmarkt schränkt den Medienpluralismus stark ein. Zu diesem Ergebnis kam das „Media Ownership Monitor”-Projekt, dessen Ergebnisse Reporter ohne Grenzen und die brasilianische Nichtregierungsorganisation Intervozes im November 2017 präsentierten.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Brasilien auf Platz 102 von 180 Staaten.

Pressemitteilung

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  1. 1
    caratinga

    Diese Gewalt ist nicht neu, wird von rechts wie links gesteuert.
    Der Hauptschuldige ist die PT. Durch das Ergebnis schlechter Politik.
    Hervorgerufen durch Unvermögen.
    Die die hier Reklamieren haben am Tropf der PT gehangen, bzw. von der PT gefüttert.
    Hier wird etwas reklamiert bzw. schlecht geredet, wovon keiner es bestimmt weis.

  2. 2
    Peter Hager

    Ob die Reporter ohne Grenzen mit dieser total einseitigen Erklärung nun Recht haben oder nicht, sei dahingestellt. Auffällig ist nur, daß sie sich stets in tiefstes Schweigen hüllen, wenn linke Organisationen schwerste Verbrechen an der Bevölkerung begehen. WER macht sie denn dann mundtot?

    Diese „Reporter“ disqualifizieren sich selber. Kein Mensch braucht sowas. Es wäre wohl tatsächlich besser, sie würden schweigen und ihr Geld mit anständiger Arbeit verdienen.

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