Das Vorurteil der Faulheit in Haiti

Arbeit-1

Datum: 10. Dezember 2009
Uhrzeit: 16:01 Uhr
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Autor: Otto Hegnauer
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

Arbeit-1Vor meiner Übersiedlung nach Haiti hatte ich viele, viele Diskussionen. Sogar mit guten Freunden, die mich vor dem vermeintlichen Absturz retten wollten. Ich muss heute, nach bald zwanzig Jahren sagen, ich würde es wieder tun.

Vor allem geblieben sind mir die Vorurteile einiger Politiker, die ich vorher respektiert hatte. Einem Politiker traue ich immerhin mehr Intelligenz und weniger Vorurteile zu. Und weniger Rassismus, vor allem wenn in der eigenen Familie sämtliche Kinder mit Schwarzen verheiratet sind.

„Die sollen doch arbeiten statt rumlungern“, pflegte ein hoher Offizier und Unternehmer (besser „Unternehmersohn“) zu sagen, fast hätte ich mich verschwatzt und seine Nation preisgegeben. Aber um mich nicht schämen zu müssen, konnte ich das im letzten Moment verkneifen. Das Paar („Familie“ ist übertrieben zu sagen, denn die Kinder bleiben jeweils daheim) pflegt regelmäßig Kreuzfahrten zu buchen, und ich hätte ihnen deshalb mehr Toleranz zugemutet als etwa einem Hinterlinger, der seinen Bauernhof zeitlebens nie verlassen hat.

Wir haben uns immer wieder mit Vorurteilen befasst, die sich halt in einer gewissen Gesellschaftsschicht zum Urteil verdrehen. Urteil oder Vorurteil, das hängt doch sehr mit den Wertsystemen zusammen, die man von den eigenen Eltern, Lehrern oder andern Vorbildern mitbekommen hat, die haben sich eben in einem anderen Milieu behaupten müssen.

Das Vorurteil der faulen Schwarzen besteht seit der Kongokonferenz von 1884 in Berlin, als die Kolonien in Afrika zu „Schutzgebieten“ erklärt wurden, um die „Neger“ vor der Sklaverei zu schützen. Damals entstand auch der Ausdruck „Verfleissigung“. Danach waren in den Kolonien nur noch dunkle Hausdiener, jedoch nicht mehr Plantagenarbeiter erlaubt. Die Bevölkerung sollte durch Lenkungs- und Strafmaßnahmen zu „Fleiß“ erzogen werden. Jeder Widerstand wurde als Beweis angeborener „Faulheit“ und damit der Notwendigkeit zusätzlicher Gewalt gewertet.

Ein weiteres Vorurteil ist die Triebhaftigkeit. Schwarze Menschen werden als sexuell aufgeladen gesehen, es kommt gehäuft zu Vergewaltigungen und anderen Sexualdelikten ihnen gegenüber. Dabei ist es doch offensichtlich: das Gegenteil wird vertuscht. Die Weißen reisen zum Abenteuer mit den Schwarzhäuten, die Weißen füllen die Sexbomber nach Westindien und Thailand, die Weißen haben die Negersklaven vergewaltigt und misshandelt. „Leichte“ Schwarze prostituieren sich aus Hunger und Armut, nicht wie bei uns, wo das viele nur aus Geldgier tun. Die „reichen“ Sextouris nützen das aus. Natürlich wird beleidigend verallgemeinert und verschwiegen, dass die meisten nicht zu den „Leichten“ gehören. Hüben wie drüben.

Nach fast achtzig Afrika reisen und einem bald zwanzigjährigen Karibikleben würde ich sagen, dass es in diesen Ländern keineswegs mehr „faule“ Menschen gibt als in nordischen Landen. Im Gegenteil arbeiten die Farbigen häufiger im Dunkel der Nacht als die lichtverwöhnten Weißen. Immer wieder staune ich bei meinen Küstenbauern, wie die lange nach Mitternacht singend ihre Felder bearbeiten, wenn die Umstände dies erfordern.

Ein Problem ist, dass auch sie in der heutigen Welt nicht mehr ohne Geld leben können. Die Unternehmer erwarten das aber. Denn die meiste Arbeit wird kaum oder überhaupt nicht bezahlt, weil das leider so üblich ist. Die meisten Arbeitgeber behalten den ( vielleicht ) vorgesehenen Lohn für die Arbeiter lieber auch noch für sich. Aus Armut werden einige gelegentlich zu Diebstahl gezwungen, den sie auch als „Arbeit“ betrachten, wie etwa früher in Sardinien, wo Viehdiebstahl Ehrensache war. Diebstähle richten sich nur gegen Unbekannte, es ist also tunlich, in Haïti seine Entourage möglichst rasch kennen zu lernen, dann kann man sich auch vor Dieben sicher fühlen und wird sogar davor geschützt.

Der erwähnte Freund und Unternehmersohn war mit mir seit Schulzeiten befreundet, und wir haben eigentlich miteinander alles unternommen was man unternehmen kann. Trotzdem ich ihn als guten Freund bezeichnen möchte, hat er wenig bis nichts von meiner Denke begriffen.

Wenn ich es mal etwas unbescheiden aber humorvoll so sagen darf: er ist halt nicht zu mir zur Schule gegangen… Übrigens habe ich gemeinerweise eine kleine Fehlinformation eingestreut, sonst könnte man noch erraten, um wen es sich da handelt. Und ich will doch Geschichten erzählen, nicht politisieren.

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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